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Der Mistral ist ein heftig wütender Gebieter
Der Mistral („Meister, Gebieter“) ist berüchtigt für seine Heftigkeit und die von ihm ausgehende Bedrohung für Segler. Gerade die hohen, kurzen und teilweise quer zu den Hauptschifffahrtsrouten verlaufenden Wellen sind gefährlich – nicht nur für kleine Boote.
Vor allem im Dreieck zwischen der französischen Mittelmeerküste, den Balearen und Sardinien wütet der Meister. Hier liegt auch der Golfe du Lion, der durch den Mistral als eines der sturmreichsten Seegebiete der Erde gilt. Laut einiger Quellen könnte der Name „Lion“ darauf beruhen, dass die Fischer und Seeleute das Gewässer durch die Winde als so gefährlich wie ein „Löwe“ erlebten. Er trägt daher im Deutschen auch den Namen „Löwengolf“.
Der Mistral ist stürmisch, kalt und trocken
Der Mistral ist ein katabatischer Wind, das heißt ein kaltluftgetriebener, ablandiger Fallwind. Er kommt aus nördlicher oder nordwestlicher Richtung. Zu jeder Jahreszeit tritt er mit großer Heftigkeit auf, zeigt sich aber insbesondere im Frühjahr, Herbst und Winter regelmäßig mit 40 bis 55 Knoten (8–10 Bft) sowie mit orkanartigen Böen von 64 Knoten und mehr. Selbst im Sommer ist er mit 28 bis 40 Knoten (6–8 Bft) stark und zeigt Sturmböen mit 9 Bft.
In den Sagen rund um den Mistral heißt es, der Mistral dauere immer drei, sechs oder neun Tage. So regelkonform verhält er sich jedoch nicht. Typischerweise sind es zwei bis drei Tage, doch ein oder zwei Wochen sind ebenfalls möglich.
Es wird zwischen Mistral blanc und Mistral noir unterschieden. Während der „weiße“ Mistral keine Niederschläge mit sich führt, da das mitgeführte Wasser bereits über der Nordhälfte Europas abregnete, zeichnet sich der „schwarze“ durch tiefhängende Wolken und schwere Niederschläge, zum Teil mit Hagel oder mit Schnee, aus.
Beim Mistral trifft die Großwetterlage auf topographische Besonderheiten
Typischerweise tritt der Mistral auf, wenn sich ein Hochdruckgebiet vom Atlantik aus über die Biskaya verlagert und sich gleichzeitig ein Tief über Nord- und Osteuropa befindet. So in etwa ist es auch im folgenden Bild zu sehen. Hier liegt ein ausgeprägtes Hoch über dem Englischen Kanal und je ein Tief über Russland, der Ukraine und Griechenland. Der grüne Pfeil zeigt den daraus resultierenden Mistral-Wind.
Zwischen dem Hoch, das vom Wind im Uhrzeigersinn umströmt wird, und dem Tief, das vom Wind gegen den Uhrzeigersinn umströmt wird, wird polare Kaltluft kanalisiert. Sie wird sozusagen zwischen der Ostseite des Hochs und der Westseite des Tiefs hindurchgedrückt und nach Süden gedrängt. Dort wiederum stehen ihr drei Gebirge im Wege. Im Westen die Pyrenäen, in der Mitte das französische Zentralmassiv und im Osten die Alpen.
Diese Bergkette mit zwei Öffnungen bildet zwei geologische Trichter, durch die der Wind durch muss. Das führt zu einem Düseneffekt. Der Wind beschleunigt sich und er wird entweder zwischen den Alpen und dem französischen Zentralmassiv in das Rhônetal geschoben oder er weht zwischen den Pyrenäen und dem Zentralmassiv durch das Garonne-Tal zum Mittelmeer. Unabhängig davon, welchen Weg der Wind wählt, fällt er durch eine Lücke oder gar beide Lücken zwischen den Gebirgen heftig und turbulent in den Golfe du Lion ein.
Anfangs läuft der Prozess noch langsam ab. Allerdings trifft die westlich an den Alpen vorbeiströmende Kaltluft im weiter östlich gelegenen Golf von Genua auf mildfeuchte Mittelmeerluft. Dies führt in der Regel dazu, dass sich hier ein weiteres Tief bildet – das Genuatief. Es wirkt wie ein Staubsauger und zieht die Luft aus dem Rhônetal oder Garonne-Tal zusätzlich an. So kommt der eigentliche Mistral zustande, dessen Dauer schlussendlich von der Existenz des Genuatiefs abhängt. Interessant ist dabei, dass die Meinungen der Meteorologen auseinandergehen, ob das Genuatief die Ursache für den Mistral ist oder ob es durch den Mistral entsteht.
Es empfiehlt sich, regelmäßig die Großwetterlage mittels der zur Verfügung stehenden Wetterberichte zu beobachten. Treten die oben beschriebenen unterschiedlichen Drucksysteme nebeneinander auf, ist die Voraussetzung für den Mistral gegeben.
Anzeichen am Himmel für einsetzenden Mistral
Der Mistral zeichnet sich durch eine überdurchschnittlich gute Sicht, andauernd leuchtend blauen Himmel beziehungsweise eine sternenklare Nacht aus. Hervorgerufen wird dies durch die trockene Luft aus dem Norden, erkennbar mit einem Hygrometer (Messinstrument zur Bestimmung der Luftfeuchtigkeit).
Markantestes Zeichen des aufkommenden Windes sind die sogenannten Altocumulus lenticularis-Wolken. Das sind linsen- oder mandelförmige Wolken, die wie Ufos aussehen können.
Bei Mistral: Ab in den Hafen!
Bereits wenige Seemeilen vor der Küste erzeugt der Mistral eine unangenehme, kurze Welle, die vor allem für kleinere Yachten sehr gefährlich werden kann. Je weiter entfernt von der Küste, desto höher ist der Seegang. Außerhalb des Sommers können die Wellen fünf bis acht Meter hoch sein.
Tipp: Der Mistral scheint sich küstennah nachts zu beruhigen, dies gilt jedoch nicht für die See weiter draußen. Hier wütet der Mistral uneingeschränkt weiter. Wenn die Reiseroute quer zu Wind und Seegang verläuft, ist besondere Vorsicht geboten, um ein Kentern zu vermeiden. Das könnte auf einer Überfahrt von Sardinien/Korsika zu den Balearen der Fall sein.
Daher ist es ratsam, wenn von den lokalen Küstenfunkstellen, wie beispielsweise der französischen Seenotrettung CROSS La Garde, vor dem Mistral gewarnt wird, bis zur Aufhebung der Sturmwarnung im Hafen zu bleiben oder schnellstmöglich einen aufzusuchen.
Legerwall-Situationen an Luv-Küsten sind logischerweise besonders gefährlich, da die Küsten praktisch keinen Schutz bieten. Aber auch an den Lee-Küsten im Osten von Inseln wie Sardinien und Korsika können auftretende starke Fallböen sehr unangenehm sein. Nicht selten driften dann Yachten unkontrolliert durch die Ankerfelder. Bei viel Wind hilft viel Kette (mehr dazu steht hier geschrieben).
Die Vorhersage des Mistrals
Es ist zu beachten, dass der Vorhersagezeitraum für den Mistral leider nicht sehr lang ist. So kann es Seglern passieren, dass sie beispielsweise auf der ein- bis zweitägigen Überfahrt von der Côte d’Azur zu den Balearen vom Mistral überrascht werden. Schiff und Crew sollten also gewappnet sein, dass der Mistral in diesem Seegebiet spontan aufziehen kann, wenn die Großwetterlage dies signalisiert.
Wenn der Mistral aufzieht, hat es sich bewährt, rechtzeitig den Kurs zu ändern und seitlich in Richtung der spanischen Festlandküste auszubrechen. Diese Empfehlung beruht darauf, dass die Zone der extremen Windstärken grob einer nach Südosten verlängerten Linie vom Golf von Lion entspricht – das ist ein Dreieck mit den Eckpunkten Marseille, Balearen und Nordsardinien. Außerhalb dieser Zone sind die Windverhältnisse weniger heftig und folglich besser abwetterbar.
Der Mistral im Steckbrief
Allgemein
- Wo? Dreieck zwischen Golfe du Lion, Balearen und Sardinien/Korsika
- Was? Kaltluftgetriebener, ablandiger Fallwind, katabatischer Wind. Zwei Arten: Mistral blanc mit klarem Himmel ohne Niederschläge und Mistral noir mit tiefhängenden Wolken, schweren Niederschlägen und gegebenenfalls Hagel oder Schnee.
- Woher? Aus nordwestlicher Richtung
- Wie stark? Im Sommer: 28 bis 40 Knoten (Sturmböen). Im Frühjahr, Herbst, Winter: 40 bis 50 Knoten (orkanartigen Böen über 60 Knoten). Stärkster Monat: Februar.
- Wie lange? Typisch: 2–3 Tage, aber bis zu zwei Wochen möglich
Entstehung
- Typische Konstellation: hoher Luftdruck über der Biskaya und Tiefdruck über Nord- und Osteuropa.
- Kalte Polarluft strömt zum Druckausgleich gen Süden und trifft auf Pyrenäen, Zentralmassiv und Alpen. Rhônetal und Garonne-Tal dienen als Kanal. Es kommt zu Beschleunigung (Düseneffekt). Einströmung in den Golfe du Lion.
- Zusätzlich bildet sich ein Tief über Genua, dessen Dauer die Dauer des Mistrals bestimmt.
Merkmale
- Starker, kalter, trockener Wind
- Wind baut sich binnen weniger Stunden auf, mitunter vorher völlige Flaute
- Typische Vorboten: linsen-, mandelförmige Wolken, die wie Ufos aussehen (Altcumulus lenticurlaris)
Seglerhinweise
- Achtung: schwer vorhersagbar!
- Bei Aufzug im Hafen bleiben oder schnell Hafen aufsuchen. Dort bleiben, bis die Sturmwarnung aufgehoben ist.
- Je weiter von der Küste entfernt, desto höher der Seegang. Im Frühjahr, Herbst und Winter Wellenhöhe 5 bis 8 Meter möglich. Kurze Wellen, Gefahr des Querschlagens.
- Unter der Küste nachts etwas schwächer ausgeprägt.
Fazit
Man muss als Segler keine Angst vor dem Mistral haben, aber Respekt. Im Seegebiet zwischen Marseille, den Balearen und Sardinien/Korsika tritt er recht unvermittelt auf, wenn die Großwetterlage es erlaubt. Daher sollte diese bei Törns in diesem Seegebiet im Auge behalten werden. Bei Aufzug schnellstmöglich einen Hafen aufsuchen oder in Richtung spanische Festlandküste ablaufen.
Sehr gute Zusammenfassung, danke! Wir segeln seit 2015 im Gebiet des Mistrals, der Hinweis, dass grosse Aufmerksamkeit notwendig ist, können wir bestätigen. Hält man sich an die entsprechenden Empfehlungen der Küstenhandbücher, nicht jeder Hafen ist sicher bei Mistral (!), so kann man das wunderschöne Gebiet sicher geniessen.