Vorsegel-Rollreffanlage: manuell, hydraulisch oder elektrisch? Ein Vergleich der Systeme

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Marcus Schuldt ist Geschäftsführer der Reckmann Yacht Equipment GmbH. Reckmann stellt Rollreffanlagen, Mast-, Rigg- und Hydrauliksysteme her. Privat segelte er viele verschiedene Bootsgrößen, vom Optimisten über Pirat und Drachen bis hin zu diversen Dickschiffen. Die eigenen 33- bis 45-Fuß-Schiffe wurden auch immer zum Testen der Reckmann Produkte eingesetzt. Marcus Schuldt ist Mitglied im Norddeutschen Regatta Verein (NRV).

Rollreffanlagen in der Praxis

Vorsegel-Rollreffanlagen sind heutzutage Standard auf seegängigen Yachten. Nicht ohne Grund. Für viele Segler ist es wichtig, dass das Vorsegel bequem und schnell vom sicheren Cockpit aus ein- und ausgerollt werden kann, ohne auf das Vorschiff gehen zu müssen. Entsprechend selten sieht man die früher weit verbreiteten Stagreiter-Segel auf Fahrtenyachten. Sie haben zunehmend ausgedient, weil Segelwechsel vergleichsweise mühsam sind und das schlagende Tuch beim Bergen ohne Rollreffanlage mitunter schwer zu bändigen ist.

Eine Blauwasseryacht mit Rollreffanlage. ©Sönke Roever

Allerdings ist Rollreffanlage nicht gleich Rollreffanlage. Mal davon abgesehen, dass sich die verschiedenen Systeme je nach Hersteller in ihrer Ausführung deutlich unterscheiden, kann man durchaus auch die Frage stellen, welches Antriebssystem das richtige ist.

Weit verbreitet ist die manuelle Rollreffanlage, die mittels Schot und Holeleine vom Cockpit aus bedient wird. Daneben werden elektrische und hydraulische Antriebe eingesetzt. Welche Variante auf einer Blauwasseryacht die richtige ist, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab, die nachstehend betrachtet werden.

Weit verbreitet ist die manuelle Rollreffanlage. ©Sönke Roever

Welche Faktoren beeinflussen die Auswahl?

Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die bei der Auswahl einer manuellen oder automatischen Rollreffanlage in Betracht gezogen werden sollten. Dabei reicht es für gewöhnlich nicht aus, nur einen einzelnen Faktor zu betrachten. Vielmehr muss das Zusammenspiel aller Faktoren in ein Gesamtkonzept gebracht werden. Im ersten Schritt ergibt sich hieraus die Wahl der Antriebsform: manuell oder automatisch? Sofern das Ergebnis „automatisch“ lautet, muss im zweiten Schritt weiter differenziert werden, ob eine elektrische oder eine hydraulische Anlage die bessere Lösung ist. Die nachstehenden Faktoren können dabei von Bedeutung sein.

Schiffsgröße

Die Größe der Yacht hat maßgeblichen Einfluss auf die Ausführung der Rollreffanlage. Selbstverständlich macht es einen Unterschied, ob ein Schiff 35 oder 55 Fuß lang ist. Die Stagdicke, die Staglänge, die Profilstärke und die Beschläge müssen unterschiedlich stark dimensioniert werden. Während auf einer 35-Fuß-Yacht problemlos eine manuelle Rollanlage eingesetzt werden kann, lohnt es sich bei einer 55-Fuß-Yacht aufgrund der hohen Kräfte, die dort wirken können, über einen elektrischen oder hydraulischen Antrieb nachzudenken. Das schafft eine Menge Komfort.

Eine Dehler 41 mit manueller Rollreffanlage unter Deck. ©Reckmann

Natürlich kann eine Rollreffanlage auch mittels elektrischer Winschen bedient werden, aber die verlässlicher funktionierende Variante ist bei der Größenordnung eine Rollreffanlage mit einem automatischen Antriebssystem, das speziell dafür entworfen und hergestellt wurde. Es sitzt direkt an der Anlage und kommt ohne Leinenführung aus.

Generell kann man sagen, dass bis zu einer Schiffsgröße von 50 Fuß normalerweise alle drei Systeme gut funktionieren – manuell, elektrisch und hydraulisch.

Bei dieser Schiffsgröße kommt nur eine automatische Rollreffanlage in Frage. ©Reckmann

Rumpfzahl

Schiffe mit mehreren Rümpfen segeln steifer als Schiffe mit nur einem Rumpf. Das bedeutet, dass ihre Rollreffanlage stärker dimensioniert sein muss, da die wirkenden Kräfte – etwa bei einer Böe – nicht so gut durch Krängung abgefedert werden können. Hierzu sei ergänzt, dass die Basis für die Berechnung eines Riggs und seiner Einzelteile nicht die Segelfläche ist, wie oftmals fälschlich angenommen wird, sondern das aufrichtende Moment der Segelyacht – also die Eigenschaft des Schiffes, weniger oder mehr „kippelig“ zu sein.

So gesehen kann es Sinn ergeben, mit zunehmender Schiffsgröße eher auf eine elektrische oder hydraulische Rollreffanlage zu setzen, als es bei einer Einrumpfyacht gleicher Länge der Fall wäre.

Katamaran mit manueller Rollreffanlage ©Reckmann

Crewstärke

Die Anzahl der Crewmitglieder an Bord ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Wenn stets genug Personen an Bord sind, um die Manöver zu fahren, brauche ich nicht zwingend eine elektrische oder hydraulische Anlage. Beim Ein- oder Ausrollen des Segels mit einer manuellen Rollreffanlage kann eine Person bequem die Schot bedienen und eine weitere Person die Holeleine.

Die Crewstärke spielt eine Rolle bei der Auswahl des Systems. ©Sönke Roever

Für Einhandsegler stellt sich die Situation anders dar und es sollte die kritische Frage gestellt werden: „Bin ich in der Lage, gleichzeitig das Schiff zu steuern und die Segel zu bedienen?“. Wer diese Frage mit „Nein“ beantwortet, sollte auf ein elektrisches oder hydraulisches System setzen, das bequem auf Knopfdruck bedient werden kann. Das kann so weit reichen, dass Fußtaster am Steuerstand angebracht werden.

Übrigens ist das ein Gedanke, den durchaus auch Zwei-Personen-Crews verfolgen sollten, wenn sie eine Weltumsegelung oder längere Ozeanpassagen planen. Gerade auf den langen Passagen segelt für gewöhnlich jede Person große Teile der Strecke für sich alleine, während die andere Person Freiwache hat und schläft. In dem Moment bin ich genauso gestellt wie ein Einhandsegler und sollte das gleiche Konzept zu Grunde legen.

Layout der Yacht

Auch das Layout der Segelyacht hat einen Einfluss auf die Wahl des Antriebs. Insbesondere bei modernen Yachten ist es heutzutage üblich, Leinen, Fallen und Strecker optisch ansprechend unsichtbar verschwinden zu lassen. Nicht selten geht das mit der einen oder anderen Umlenkrolle einher, die jede für sich die Reibung erhöht. Aber auch die Bauart des Schiffes als solche kann dazu führen, dass zu viele Umlenkrollen benötigt werden, um die Holeleine zum Cockpit zu führen.

Die Führung der Holeleine ins Cockpit lässt sich nicht auf jeder Yacht realisieren. ©Sönke Roever

Dazu ein Beispiel: Jeder Segler, der schon eine Yacht mit einer auf einer Klampe belegten Leine aufgestoppt hat, weiß, wie schnell Reibung entsteht, wenn eine Leine um eine Klampe oder einen Block herumgeführt wird. Läuft die Holeleine einer manuellen Rollanlage um zu viele Ecken bzw. durch zu viele Blöcke/Rollen, wird die Reibung in Summe so hoch, dass die Anlage nur schwer bzw. unkomfortabel zu bedienen ist. In so einem Fall wäre es von Vorteil, auf die komplizierte Leinenführung zu verzichten und stattdessen eine elektrische oder hydraulische Rollreffanlage einzusetzen, schließlich kommt sie komplett ohne Leinenführung aus.

Segelyacht mit zwei Rollanlagen hintereinander. ©Reckmann

Zum Layout der Yacht gehört auch die Frage, ob zwei Rollanlagen hintereinander genutzt werden sollen oder zum Rigg ein Kutterstag gehört. In beiden Fällen muss das Vorsegel normalerweise bei einer Wende oder einer Halse kurz eingerollt werden und auf der anderen Seite wieder ausgerollt werden. Wer mit so einem Setup in einem engeren Fahrwasser kreuzen muss, wird vermutlich schnell genervt sein, wenn das Segel jedes Mal von Hand ein- oder ausgerollt werden muss. Ein automatischer Antrieb wäre dann von Vorteil.

Fahrtgebiet

Und nicht zuletzt spielt das Fahrtgebiet eine Rolle. Wer in den hohen Breiten segelt, hat es für gewöhnlich mit unsteten Winden zu tun, und nicht selten gehört eine Anpassung der Segelfläche zur Tagesordnung. Auch hier stellt sich dann die Frage, wie oft das der Fall sein wird und ob mein vorhandenes Setup es mir erlaubt, das Vorsegel mit einer manuellen Rollreffanlage stressfrei zu verkleinern oder wieder zu vergrößern.

Segeln in den hohen Breiten. Die Anpassung der Segelfläche gehört zur Tagesordnung. ©Stefanie Kamke

Kritiker könnten an dieser Stelle anführen, dass dies mit einer elektrischen Winsch genauso gut gelingt wie mit einer elektrischen oder hydraulischen Rollreffanlage. Das stimmt ein Stück weit. Die Voraussetzung hierfür ist allerdings in meinen Augen, dass die Winsch so platziert ist, dass ich mit der einen Hand die Schot fiere oder dichtnehme, während ich mit der anderen Hand die elektrische Winsch bediene. Dazu muss die Winsch über einen sogenannten selbstholenden Aufsatz verfügen und entsprechend in der Nähe angebracht sein. Außerdem sei in dem Zusammenhang erwähnt, dass elektrische oder hydraulische Rollreffanlagen keine Überläufer produzieren können.

Vor- und Nachteile von elektrischen und hydraulischen Rollreffanlagen

Ein klarer Nachteil der elektrischen und hydraulischen Rollreffanlagen ist, dass sie im Vergleich zu einer manuellen Rollreffanlage höhere Anschaffungskosten mit sich bringen und auch etwas schwerer sind. Wer Wert auf jedes Gramm Gewicht an Bord legt, ist daher mit einer manuellen Rollreffanlage besser bedient. Für Fahrtensegler spielt dies in der Regel jedoch eine untergeordnete Rolle. Für sie sind der Komfort und die Zuverlässigkeit deutlich wichtigere Kriterien.

Wie bereits angesprochen, ist die Reibung ein wichtiger Faktor, der durch das Einsetzen von elektrischer oder hydraulischer Kraft gegenüber einer manuellen Rollreffanlage eliminiert werden kann. Somit ist das Segeln mit einer elektrischen oder hydraulischen Rollreffanlage komfortabler. Es macht Spaß, jederzeit auf Knopfdruck die Segelfläche verkleinern oder vergrößern zu können.

Solche hydraulischen Rollreffanlagen sind nahezu wartungsfrei. ©Reckmann

Dem könnte entgegengehalten werden, dass automatische Systeme ausfallen können. Ein Einwand, der durchaus berechtigt ist. Hierzu muss man allerdings wissen, dass sich die Produkte der verschiedenen Hersteller am Markt diesbezüglich deutlich unterscheiden. Ich persönlich würde immer darauf achten, eine Rollreffanlage zu erwerben, die so gebaut wurde, dass sie quasi wartungsfrei ist und aufgrund der Qualität der verbauten Materialien eine hohe Lebensdauer hat. Natürlich hat das seinen Preis, aber der Ärger, der entsteht, wenn die Anlage ausfällt, steht in keinem Verhältnis dazu.

Kommt es zu einem Ausfall der elektrischen oder hydraulischen Anlage, ist es wichtig, dass das System manuell bedient werden kann. Hierbei lohnt es sich, eine Rollreffanlage zu erwerben, die für diesen Fall eine separate Getriebestufe hat, die durch das Einstecken der Winschkurbel aktiviert wird. Es gibt etliche Anlagen, die im manuell bedienten Notmodus sehr viele Umdrehungen mit der Winschkurbel benötigen, um das Segel einzurollen. Es dauert dann ewig, das Segel zu bergen. Existiert hingegen eine zweite Übersetzung für den Handbetrieb, kann das Segel auch im Notfall schnell und unkompliziert eingerollt werden. Das ist ein wichtiger Sicherheitsfaktor.

Mit einer Standard-Winschkurbel kann die Rollreffanlage manuell benutzt werden. ©Reckmann

Elektrische oder hydraulische Rollreffanlage?

Fällt die Entscheidung zugunsten einer elektrischen oder hydraulischen Rollreffanlage, ist die Frage, welches System das bessere ist. Eine Antwort darauf lässt sich nicht pauschal geben, aber es gibt ein paar Gedankenspiele, die man machen kann.

Geht es darum, nur eine Rollreffanlage automatisiert zu betreiben, ist es in der Regel einfacher, einen elektrischen Antrieb hierfür zu verwenden, da die Installation einer hydraulischen Rollreffanlage vergleichsweise aufwendiger ist und in der Folge eher dann Sinn ergibt, wenn mehr als eine Rollreffanlage an Bord automatisiert bedient werden soll.

Sollen beispielsweise zwei Vorsegel-Rollreffanlagen und das Großsegel automatisch bedient werden, ergeben drei hydraulische Anlagen mehr Sinn als drei elektrische. Jede der Reffanlagen erhält dann einen eigenen hydraulischen Antrieb. Zudem wird an einer zentralen Stelle im Schiff ein sogenanntes Power-Pack installiert. Das ist eine zentrale Pumpe, die das Hydrauliköl zu den einzelnen Rollreffanlagen pumpt, wenn die Segel bedient werden.

Der Power-Pack ist das Herz der hydraulischen Anlage. ©Sönke Roever

Kommt eine elektrische Anlage zum Einsatz, würde ich darauf Wert legen, dass der Motor bei einem Ausfall schnell und unkompliziert ausgetauscht werden kann. Normalerweise funktionieren diese Systeme relativ ausfallsicher. Allerdings sind Elektromotoren grundsätzlich etwas anfälliger als hydraulische Antriebe. Sie können theoretisch überhitzt werden, wenn der Hersteller hierfür keinen entsprechenden Schutz vorgesehen hat.

Der elektrische Motor einer Rollreffanlage. ©Sönke Roever

Im Vergleich zu Elektromotoren sind hydraulische Motoren eher „unkaputtbar“ und wartungsfrei. Außerdem sind die Abmessungen von hydraulischen Anlagen kleiner als die von elektrischen Anlagen. Dies gilt zumindest für die Einheit an Deck. Man darf natürlich nicht vergessen, dass ich bei einer hydraulischen Anlage zusätzlich noch das Pumpenaggregat brauche. Dieses wiederum sitzt im geschützten Schiffsinneren und ist somit keinen äußeren Bedingungen ausgesetzt, die sich aus der salzigen Umgebung ergeben.

Preislich gibt es keine großen Unterschiede zwischen den Anlagen. Wenn es darum geht, nur eine Rollreffanlage zu betreiben, ist die elektrische Variante etwas preiswerter als die hydraulische. Ab zwei Anlagen ist die hydraulische Variante die preiswertere. Nicht zuletzt ist eine hydraulische Lösung generell die robustere und kraftvollere Lösung.

Segelspaß pur: eine Blauwasseryacht auf See. ©Reckmann

Fazit

Ich denke, beim Lesen der vorstehenden Zeilen wird schnell klar, dass es keine pauschale Lösung für dieses Thema gibt. Umso wichtiger ist es, sich mit den für die eigene Törnplanung relevanten Faktoren zu befassen – Schiffsgröße, Rumpfzahl, Crewstärke, Layout der Yacht und Fahrtgebiet. Als erste Orientierung soll dieser Beitrag dienen. Die finale Lösung sollte mit einem Fachmann auf diesem Gebiet im Rahmen einer ausführlichen Beratung besprochen werden.

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