Segeln in Norwegen: Törnbericht einer Reise zu den Lofoten

Ein Beitrag von

Matthias Demeter

Matthias Demeter ist von Beruf Lehrer und segelt seit vielen Jahren. An seiner Schule leitet er eine Segel AG. Als Charterer segelte er in Italien, der Türkei, Spanien und Thailand.

Lofoten – schwarze Zacken hinterm Horizont

Ich stehe an der Hafenmole in Bodø, im Hintergrund die 50.000-Einwohner-Stadt und die Bergkette Børvasstindan. Plötzlich schraubt sich die NATO-Luftaufklärung mit lautem Getöse in den nebelverhangenen Himmel. Ein kurzer Blick hinauf, dann wandere ich weiter die Mole hinunter und zum Liegeplatz der SEEADLER. Auch hier keine typisch norwegische Einsamkeit: Die eben eingelaufene AIDA spuckt gerade ihre erlebnishungrigen Touristen aus, Mountainbiker überschwemmen den ansonsten idyllischen Hafen. Mir fällt ein, was ich zu Hause im Revierführer „Norwegen“ gelesen habe: Wer alleine sein kann, für den ist dieses Revier nördlich des Polarkreises das richtige. Offenbar ist diese Situation gerade nicht typisch für dieses Fleckchen Erde …

Die Segelcrew ist mit einer X-482 unterwegs.

Ein paar Minuten später stehe ich vor der X-482, auf der ich in den kommenden zwei Wochen segeln werde. Kurzes Händeschütteln, wir stellen uns vor, die Yacht ist mit acht Mitseglern voll ausgebucht. Noch ein schneller Blick hinunter ins Schiff, dann gehen wir zusammen in die Stadt, sinnieren über die vor uns liegende zweiwöchige Reise zu den Lofoten, trinken Bier. „Das können wir uns aber nicht jeden Abend leisten!“, sagt einer – und hat recht. Natürlich haben wir alle vorher gelesen, was ein Bier hier kostet, aber die vielen Kronen auf der Rechnung zu sehen – das fühlt sich noch mal anders an. Irgendwie eindrücklicher.

So richtig dunkel wird es im hohen Norden nicht im Sommer.

1. Tag

Auch deshalb ist uns allen am ersten Morgen klar: Hier ist jetzt ein Großeinkauf fällig. Die Crew schwärmt aus, besorgt ausreichend Verpflegung. Danach schlagen wir die große Genua an, bereiten das Schiff vor und kochen. Bis alles verstaut ist, ist der erste Tag vergangen. Doch wann genau der so richtig zu Ende ist, wird nicht klar. Denn dunkel wird es hier in Norwegens hohem Norden nicht.

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2. Tag

Der Tag beginnt mit einem Manövertraining. Wie reagiert das Schiff? Wir wechseln uns ab und fahren unterschiedlichste Manöver, bis wir nach zwei Stunden fit und bereit sind für den eigentlichen Kurs. Dann geht’s endlich los gen Norden. Unter Groß und Genua 1 segeln wir die Festlandküste hinauf. Suchen eine Brise, die mal lau und leise pustet und dann wieder einschläft – bis wir beschließen, die Segel runterzunehmen und unserem Ziel mit Motorkraft näherzukommen.

20:30 Uhr, 61 Seemeilen liegen hinter uns, stundenlang ist die norwegische Festlandküste grün und bergig an uns vorbeigezogen. Jetzt ankern wir auf zehn Meter Wassertiefe in einer Bucht im Flagsund vor der Insel Engeloya. Die Engelsinsel ist eine Insel wie aus einem Urlaubsprospekt: schroffe Berge, saftig-grüne Wiesen, hellgelber Sandstrand. Wäre nur das Wetter eine Spur besser … Vom Sommer keine Spur, der Nebel hängt über dem Wasser, alles ist feucht und klamm.

3. Tag

Auch heute machen sich Nebel und Regen breit. Doch wir sind schon kurz nach unserem Start mit Wichtigerem beschäftigt. Wird die Brücke voraus hoch genug sein? In der Seekarte ist eine Durchfahrthöhe von 25 Metern angegeben – unser Mast misst 23 Meter. Zudem herrscht Richtung Brücke ein Strom von etwa zwei Knoten.

Crewbesprechung

Nach kurzer Diskussion beschließen wir, vorsichtig rückwärts durch die Brücke zu fahren, so können wir zur Not noch reagieren. Doch die Brücke ist ausreichend hoch, wie viel Platz genau noch zwischen Mastspitze und Brücke war, kann niemand mehr sagen – viel war es auf jeden Fall nicht.

Vestfjord

Weiter geht’s – den Skettenfjord und den Sagfjord hinauf. Im Vestfjord nimmt der Wind zu, sodass wir mit achterlichem Wind nur mit der großen Genua sieben Knoten erreichen. Wir verlassen die Festlandinseln und nehmen Kurs auf die Lofoten. Unsere SEEADLER durchschneidet die Wellen, das norwegische Festland verschwindet im Kielwasser.

Schönes Segeln im Vestfjord

Irgendwann liegt der Trollfjord voraus, unser heutiges Ziel. Die steilen Felswände des Bergmassivs Trolltindan türmen sich bis zu 1.000 Meter in die Höhe und rücken immer enger zusammen. Der Nebel hängt zwischen den nassen Steinwänden. Kein Wunder, dass der Fjord nach den Trollen benannt ist. Dieser Flecken Erde zeigt sich geheimnisvoll und düster. Aber statt der Fabelwesen, die neben den Riesen in der nordischen Mythologie eine große Rolle spielen, taucht ein Schiff der Hurtigruten-Flotte in der engen Schlucht auf: die TROLLFJORD.

Im Trollfjord kommt die TROLLFJORD entgegen. Das passt!
Trollfjord

Wir folgen dem Raftsund und behalten die Varder und Baaken im Auge, die das Fahrwasser begrenzen. Die Varder, dunkle Steintürme, oft mit weißer Markierung, sind schon von weitem gut erkennbar. Einzelgefahrenstellen werden oft durch Baaken gekennzeichnet. Diese Pfähle haben als Topzeichen manchmal einen waagerechten Arm, der auf die Seite zeigt, auf der man sie passieren soll.

Varder und Baaken weisen den Weg.

Ob man sich blind auf diese Seezeichen verlassen kann? Wir sind nicht ganz sicher, deshalb nehmen wir den Plotter zu Hilfe und beobachten ständig die Tiefe. Am Abend machen wir nach knapp 60 Seemeilen in Stokmarknes fest, in jenem idyllischen Dorf, in dem Richard With vor mehr als 120 Jahren die Hurtigruten Reederei gegründet hat. Einziger Wermutstropfen: Leider sind wir heute nur 15 der 60 Seemeilen gesegelt.

Sportliches Segeln. Leider auf dem Törn eine Seltenheit

4. Tag

Das Museum der Hurtigruten-Linie in Stokmarknes erzählt die lange Geschichte dieser stolzen Schifffahrtslinie. Die Hurtigruten (norwegisch für „schnelle Route“) sind die traditionellen norwegischen Postschifflinien, die seit 1893 die Orte der norwegischen Nordwestküste verbinden.

Zwar wurde der Postverkehr 1984 eingestellt, doch für den Fracht- und Passagierverkehr sind die weißen Schiffe mit rotschwarzem Rumpf noch immer zuständig. Und obwohl sich ihre Aufgaben gewandelt haben und sie heute eine Touristenattraktion sind, steht der norwegische Staat finanziell hinter der privat betriebenen Linie.

Hochgefühl: Unter Spinnaker geht es durch den Vesteralfjord.

Am Mittag verlassen wir Stokmarknes und steuern in den Vesteralfjord hinaus. Der Wind bläst schwach und erneut achterlich, so setzen wir den Spinnacker, der sich wenig später wie ein riesiger bunter Ballon vor dem Bug aufbläht. Das Steuern erfordert jetzt verstärkte Aufmerksamkeit – leider schläft der Wind bald wieder ein und wir müssen mal wieder motoren.

Laukvik

Am Spätnachmittag erreichen wir den kleinen Fischerort Laukvik. Wegen der geringen Wassertiefe ist beim Einlaufen in den Hafen erhöhte Wachsamkeit gefragt. Überhaupt ist das so eine Sache mit den Wassertiefen, daher loten wir oft und gehen ganz vorsichtig mit den angegebenen Tiefen um.

Gegen Abend lässt der Regen nach, der Nebel verzieht sich und macht den Blick frei. Überall im Hafen stehen die für diese Gegend typischen Holzgerüste, auf denen Fische zum Trocknen aufgehängt sind.

Typisch für die Lofoten: Holzgerüste, auf denen Fische getrocknet werden.

Trocken- oder Stockfische sind noch immer die Exportartikel der Lofoten, rund 8.000 Tonnen werden jährlich produziert und exportiert. Die Herstellung der Stockfische hat sich in den letzten 1.000 Jahren nicht verändert, bis heute trocknen die Fische an der Luft. Nach drei Monaten kommen sie in spezielle Trockenhäuser, wo sie dann für weitere vier bis zwölf Monate bleiben. Auch Lebertran wird aus ihnen hergestellt, und Rogen, also Fischlaich, der als norwegischer Kaviar verkauft wird.

Trockenfische sind ein wichtiger Exportartikel der Lofoten.

5. Tag

Laukvik verschwindet gerade im Kielwasser, da schläft der Wind wieder ein. Zeit für einen Rundum-Blick: Wir fahren durch eine atemberaubende Landschaft. Die Berge steigen himmelhoch aus dem Meer, auf halber Höhe umringen weiße Wolken die dunklen Gipfel.

Am Spätnachmittag erreichen wir Svolvær, die malerische Hauptstadt der Lofoten. Im Stadthafen finden wir einen Liegeplatz, ein Teil der Crew geht zum Einkaufen. Der andere Teil fragt auf dem gegenüberliegenden Fischerboot nach, ob wir Fisch kaufen können: Acht Fische sind übrig, genug für unser Abendessen.

Majestätischer Anblick. Die Küste bei Svolvær

6. Tag

Der Hafen von Svolvær ist ein Labyrinth. Wir besorgen Gas in der einen Ecke des Hafens und tanken in einer anderen. Dann brist es auf, und wir segeln bei 20 Knoten unter Genua 1 und Groß ohne Reff hinaus in den Vestfjorden. Unsere SEEADLER macht bis zu zehn Knoten Geschwindigkeit! Optimale Bedingungen!

Ein Traum: blauer Himmel, Sonnenschein und tiefblaues Meer

Wir segeln vor atemberaubender Kulisse: blauer Himmel, Sonnenschein, schneebedeckte Berge, tiefblaues Meer. Bis wir irgendwann Henningsvær erreichen – bei Wassertiefstand. Der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser beträgt hier rund zwei Meter, jetzt, bei Niedrigwasser, müssen wir von unserem Liegeplatz aus auf einer Leiter die hohe Holzwand hinaufklettern.

Der Hafen von Henningsvær

Vom Hafen aus sind es nur wenige Schritte bis in den kleinen Ort, in dem sich viele junge Leute aufhalten, ihr Treffunkt: die Trevarefabrikken, ein cooles Gästehaus mit viel Flair, Zimmern, einem Restaurant, Werkstätten und Sauna mit Meeresblick. Nach dem Abendessen schlendern wir durch das Städtchen und lauschen der Livemusik, die in verschiedenen Kneipen gespielt wird.

Henningsvær

7. Tag

Weiter geht’s – die Innenseite der Lofoten hinunter Richtung Südwesten. An Steuerbord ziehen schroffe Berge und grüne Hügel vorbei. Auf den rund einen Meter hohen Wellen tanzen die Schaumkronen. Der Wind weht jetzt beständig, vorsichtshalber segeln wir unter dem Groß im ersten Reff, bereits im Hafen hatten wir die große Genua gegen die Genua 3 getauscht.

Hohe Berge: Bei einem Lofotentörn sind sie allgegenwärtig.

Nach 28 Seemeilen unter Segeln erreichen wir später am Tag Ballstad, den nächsten schönen und spannenden Ort. Der Fischerort umringt drei kleine Buchten, in denen Boote schaukeln, rote Holzhäuschen kleben auf den Felsen, hier und da raucht eine Fischfabrik. Wir suchen einen Supermarkt und ergänzen unsere Vorräte. Wer gerne einen Wein zum Abendessen trinken möchte, der muss sich an ganz neue preisliche Dimensionen gewöhnen. 😉

8. Tag

Der Wind hat weiter zugenommen, in der Spitze sind es bis zu 36 Knoten, so entschließen wir uns, das Groß ins zweite Reff zu nehmen und den kleinen Fischerort Sund anzusteuern. Doch die Einfahrt nach Sund gestaltet sich schwieriger als gedacht. Durch den Düseneffekt bläst der Wind mit großer Wucht in Böen durch die Einschnitte in den Bergen. Wir steuern dagegen, halten Kurs, müssen dann aber vor dem Festmachen noch die Wassertiefe ausloten. Und haben auch in der Nacht keine Ruhe: Der Wind dreht und presst unsere Yacht gegen den Anleger. Wir legen alle Fender dazwischen und gehen im stündlichen Wechsel Leinenwache.

Sund

In Sund kann man sie besonders schön sehen, die roten Hütten der Fischer, Rorbuer genannt: Ro für rudern, bu für wohnen. Die Fischer haben diese Häuschen in der Fangsaison genutzt, sie ermöglichten ihnen das Fischen in Gegenden und Jahreszeiten, in denen das sonst unmöglich gewesen wäre. Diese Fischerhütten prägen das Bild der Lofoten, ihr roter Anstrich kommt von der Tranfarbe, mit denen sie gegen Wind und Wetter geschützt wurden, sie war einfach billiger als die übliche Farbe.

Rote Fischerhütten prägen das Bild der Lofoten.

9. Tag

Wir schauen uns noch den nur wenige Seemeilen entfernten Nusfjord an und machen uns vor dem Wind unter der Genua 3 auf den Weg nach Reine. Reine ist postkartenschön, Bilder von diesem Ort findet man in den meisten Reiseführern. In den schattigen Einschnitten der Berge liegt Schnee, am Ufer wieder die typisch roten Fischerhäuser. Wir bleiben zwei Tage und würden am liebsten noch eine ganze Woche dranhängen.

Viel fotografiert: Reine im Herzen der Lofoten

10. Tag

Von den Inseln geht’s hinüber zum Festland. Der Wind, der in der Nacht noch an den Wanten gerüttelt und für eine nervige Welle am Steg gesorgt hat, lässt nach, kaum dass wir am Vormittag den Hafen verlassen.

Reine bleibt an Tag 10 der Reise im Kielwasser zurück.

Wir setzen die Genua 3 und segeln erneut vor dem Wind. Abermals ein kurzes Vergnügen, da um 14 Uhr der Wind wieder einschläft. Einmal mehr werfen wir den Motor an. Wir tuckern, sehen einen Wal, der gemächlich seine Bahn zieht, während die Lofoten langsam im Dunst versinken. Bald sind sie nur noch als eine dunkle Kette schwarzer Zacken zu erkennen.

Abendstimmung auf den Lofoten

Als das Wasser vor Landegode flacher wird, bringen wir zwei Schleppangeln aus, und es dauert nicht lange, bis wir einen stattlichen Dorsch an der Leine haben. 49 Seemeilen werden wir später am Abend zurückgelegt haben – 16 davon unter Segeln. Morgen sind es dann noch rund 10 Seemeilen bis nach Bodø.

Angelglück zum Törnende. Ein Dorsch hat gebissen.

11. Tag

Am Abend sitzen wir zusammen in einem Lokal am Hafen und lassen unseren Törn Revue passieren. Die norwegische Nordwestküste ist ein außergewöhnliches Revier. Die Navigation ist nicht immer ganz einfach, der Wind ist manchmal launisch. Doch die Inseln sind eindrucksvoll, die hohen Felswände atemberaubend, die tiefen Fjorde und die kleinen Fischerörtchen sind pittoresk.

Ach – und die Einsamkeit, die gibt es doch: Ich war scheinbar zu Beginn des Törns nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Auf einer der tausend kleinen Inseln und Inselchen findet man die beschriebene Einsamkeit ganz sicher.

Hinweis: Die Fotos in diesem Artikel stammen vom Autor und weiteren Mitseglern, die auf dem Törn an Bord der SEEADLER mitgefahren sind.

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Eva
Eva
4 Jahren her

Die Lofoten sind wirklich ein beeindruckendes Revier, man sollte sich aber unbedingt Zeit für Landausflüge nehmen. Auch die wunderschönen Buchten im Nordwesten wird man sonst eher verpassen. Vor und nach der Feriensaison, beginnend mit der Mittsommernacht ist dort kein Mensch. Auch Segler haben wir kaum gesehen.
Die Festlandküste von Trondheim bis zu den Lofoten ist unbedingt auch eine Reise wert! Winde aber sehr wechselnd!