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Michael ist seit über 20 Jahren als Journalist und Fotograf auf dem Wasser tätig. Der studierte Geograf hat weltweit Reisereportagen in mehr als 100 Charter- und Blauwasserrevieren produziert. Zudem haben den Hamburger viele Segelreisen und seine frühere Tätigkeit als Charter- und Überführungsskipper rund um den Globus geführt. Zusammen mit Sönke Roever ist er die treibende Kraft von BLAUWASSER.DE und ein beliebter Referent auf Bootsmessen und diversen Seminaren (siehe Termine).
Titelfoto: ©Michael Amme
Viele der touristischen Highlights Irlands liegen am äußersten Südwestzipfel der Insel
Es ist Frühjahr, im grünen Gras sitzt ein wolliges Schaf unter einem roten Regenschirm, vom Himmel fallen dicke Tropfen. Der Sommer kommt, das Bild ist das gleiche, auch im Herbst und Winter wird das Tier weder Schirm noch Regen los. „Irish Seasons“ nennt sich das Bild vom armen Schaf, und es ist gedruckt auf ein dunkelblaues T-Shirt und hängt im Souvenirladen von Kinsale.
Bis zu 250 Regentage pro Jahr sind keine ideale Voraussetzung, um seinen Segelfreunden Irland für einen Urlaubstörn schmackhaft zu machen. Mit Antworten wie „ohne mich“, „kannst du vergessen“ und „ich will in die Sonne“ sollte man sich auf reihenweise Absagen einstellen. Aber ist Irland wirklich nur eine grau-neblige, feuchte Waschküche? Ein Revier, in dem man vom rauen Atlantik durchgeschüttelt und von starken Gezeitenströmungen hin- und hergeschubst wird? Ist Irland nur etwas für Kaltduscher?
Wir, eine Chartercrew aus Hamburg, wagen den Test und fliegen schwer bepackt mit Gummistiefeln, Südwester und Offshore-Ölzeug nach Cork in den Südwesten der Insel. Im nahe gelegenen Kinsale übernehmen wir unsere Yacht, der Hafenmeister strahlt: „Isn’t it beautiful?“, grinst der Ire aus einem freundlichen, rotbackigen Gesicht und meint damit den blauen Himmel und die warmen Sonnenstrahlen, „ihr werdet sehen, Irland hält viele Überraschungen bereit.“
Die nächste Überraschung ist strahlend weiß, 12,32 Meter lang und sieht ziemlich schnittig aus: eine Dufour 40, die mehr nach einer Regatta- als nach einer Charteryacht aussieht. Ohne Cockpittisch und Biminitop, dafür aber mit Lattengroß und riesigem Ruder. „Very fast“, versichert der Vercharterer, bevor er zu einem pechschwarzen Bier mit weißer Schaumkrone auf die Terrasse des örtlichen Yachtclubs lädt. Ob Guinness oder Murphy, das dunkle Bier, auch Stout genannt, ist das Nationalsymbol des Landes.
Auf unserem Törnplan stehen die Grafschaften Cork und Kerry. Die smaragdgrünen Landschaften, die steil ins Meer stürzenden Klippen, die wunderschönen Leuchttürme und die sanften, feinsandigen Buchten dieser Gegend sind das beliebteste Reiseziel der jährlich vielen Millionen Irlandbesucher. Auf einer zehntägigen, gut 300 Seemeilen langen Rundreise bis nach Dingle Harbour und zurück möchten wir so bekannte Highlights wie den Fastnet Rock, die Blasket Islands oder Derrynane Harbour besuchen. Sofern das Schiff nicht von einem tobenden Atlantik, von stürmischen Gegenwinden oder festsitzenden Nebelbänken aufgehalten wird.
Sommer und Sonne: Segeln durch die irischen Grafschaften Cork und Kerry
Mit T-Shirt-Wetter und gefühlten 30 Grad verabschieden wir uns aus Kinsale. Der schmucke Touristenort mit seinem großen Yachthafen und seinen verwinkelten Gassen, seinen Gourmetrestaurants und der alten Festungsanlage Charles Fort muss warten bis zur Rückkehr. Die ersten, erstaunlich flachen und lieblichen, mit Schafsweiden und alten Leuchttürmen bestückten Landzungen ziehen jetzt an Steuerbord vorüber.
33 Seemeilen später kommt Casteltownshend in Sicht, eine kleine Siedlung, malerisch an einem gut geschützten, fjordartigen Einschnitt gelegen. Zwei Dutzend Schiffe dümpeln in einem Bojenfeld vor einer mit dichten, grünen Algen bewachsenen Hafenpier.
An Land liegen die polierten Boote eines Ruderclubs, dahinter gepflegte Gärten, liebevoll dekorierte Häuser und Ladenlokale. Alles umgeben von einer sanfthügeligen Landschaft mit sattgrünen Wiesen, großen Laubbäumen und reichlich Rhododendronbüschen. Schön und ruhig und idyllisch wie ein Gemälde von Casper David Friedrich.
Beim Segeln an der Südwestküste Irlands oft im Blick: der Fastet Rock
Zu diesem Zeitpunkt wissen wir als Irlandneulinge noch nicht, dass die gleiche Beschreibung so oder so ähnlich auch auf ein halbes Dutzend weiterer Törnziele zutreffen wird. Auch nicht, dass der spektakuläre Makrelenfang (innerhalb weniger Minuten hatten wir beim Aufstoppen vor der Fjordeinfahrt zwei Dutzend Makrelen am Haken) dieses Törnziel nicht von anderen im Revier unterscheiden wird. Am Ende ist es der älteste und kleinste Verkehrskreisel Irlands und das Mary Ann‘s, ein unscheinbares, aber preisgekröntes Restaurant, mit dem sich der Ort abheben wird.
„East two to three, smooth seas, good visibility“, verkündet der Wetterbericht am nächsten Morgen. Mit Rückenwind und Sonnenschein geht es auch in den zweiten Törntag, „das ist ja unglaublich, fast wie im Mittelmeer“, freut sich Mitseglerin Anita. Magisch angezogen von dem am Horizont steil aus dem Meer ragenden Fastnet Rock steuert die Crew weiter West. Doch das nächste Etappenziel liegt weit vor dem einsamen Felsen an Steuerbord, Horseshoe Harbour auf Sherkin Island.
Natürlich könnte man jetzt von einem idyllischen Ankerplatz erzählen, gut geschützt von hohen und mit dichten Farn- und Erikafeldern bewachsenen Bergrücken. Von einer einsamen Wanderung über kleine Feldwege und über weiche, federnde Moosteppiche. Und auch die Aussicht vom Leuchtturm über die schmale Meerenge rüber zum Baltimore Harbour wäre erwähnenswert. Die noch interessantere Geschichte aber geht so: In den zwei Pubs der Insel wird gefeiert bis in die Morgenstunden, die Leute kommen zum Trinken extra vom Festland auf die Insel, weil hier niemand die Sperrstunde kontrollieren kann.
Trinken und Feiern – das ist überhaupt sehr beliebt in Irland. Egal wie abgelegen und verschlafen ein Ort auch ist, einen urigen Pub findet man immer. Und egal zu welcher Tageszeit, am Tresen ist immer was los. An den Wochenenden überbieten sich die Pubs mit Angeboten an Livemusik. Auch der Schutz der Wassersportler ist den Iren wichtig, es gibt eine Schwimmwestenpflicht auf allen Booten bis sechs Meter. Aber auch auf großen Yachten und bei ruhigem Wetter treffen wir auf sehr viele Segler in Schwimmwesten.
Geschützte Fjorde und offener Atlantik wechseln sich an der Südwestküste Irlands ab
Die nächsten Ziele heißen Baltimore, Schull, Crookhaven und Glengarriff. Ein Revier mit unreinen Küsten, garstigen Unterwasserfelsen, schmalen Durchfahrten und vielen Inseln. Gesegelt wird nicht nur in geschützten, von Festlandsmassen oder Inseln eingeschlossenen, fjordähnlichen Gewässern. Sondern auch in der großen, weiten Welt des Atlantischen Ozeans.
Auf dem Weg nach Norden sind Mizen und Sheeps Head erste gewaltige Kaps von weit in den Atlantik ragenden Halbinseln. Bei Weststurm klatschen hier riesige Wellenberge mit haushohen Gischtfontänen gegen die schroffe Küste. „Viele Segler bleiben dann lieber an der geschützteren Südküste“, gab uns der Hafenmeister vor der Abfahrt noch für den Ernstfall mit auf den Weg.
Zum Beispiel in Baltimore, wo wir an Tag drei der Reise festmachen und beim Anlegerbier auf der sonnigen Terrasse der Bushe’s Bar die ganze Bucht im Blick haben. Und später, im Bistro nebenan, Thunfischsteak mit Pommes bestellen. Oder in der lagunenartigen Bucht von Crookhaven, in der, wie fast überall im Revier, knallgelbe Murings zum Festmachen einladen.
Auf der Weiterfahrt um Mizen Head werden wir von dunklen Wolkenbergen, Schauern, Sonne und einem Regenbogen begleitet. Und von Strömungen, die, wie fast überall im Revier, weniger als zwei Knoten Geschwindigkeit haben. „Genug, um hilfreich zu sein, aber nicht ausreichend, um zum Problem zu werden“, sage ich mehr zu mir selbst. Beim Anlanden mit dem Schlauchboot aber sollte man die Hochwasserzeiten kennen, drei bis vier Meter Tidenhub können ansonsten für böse Überraschungen sorgen.
„Sieht aus wie im Oslofjord“, findet Anita bei der Ansteuerung von Glengarriff. Erst zieht eine Fischfarm vorüber, dann eine Handvoll vorgelagerter Inseln, auf denen sich Robben am Ufer in der Sonne räkeln. Nur die vielen Palmen im dichten Grün wollen zu dem Vergleich nicht so recht passen, auch nicht die Attraktion des quirligen Touristenörtchens: Garnish Island, eine Blumeninsel mit japanischen Gärten, Säulengängen und Lilienteich. Im Ort selbst finden sich entlang der langgestreckten Hauptstraße rund 15 Pubs, ein Visitors Center, dazu einige Souvenirgeschäfte.
Wer Irland mit der Yacht erkundet, erlebt jeden Tag ein neues Highlight
Unsere Begeisterung für das neu entdeckte Segelrevier ist groß, Mitsegler Frank wird noch Wochen später von dem „besten Urlaub meines Lebens“ erzählen. „Jeden Tag gab es ein neues Highlight, ich habe zum ersten Mal Mondfische gesehen, dazu fast täglich entweder Delfine oder Robben. Das beste aber war der Riesenhai.“ Ein sechs bis sieben Meter großer Koloss, der mit weit geöffnetem Maul minutenlang um das Schiff schwamm. „Und natürlich das Angeln, so viele und so schnelle Bisse habe ich noch nie gehabt.“ Egal ob Makrele oder Dorsch, in Irlands Gewässern kann man sich sein Abendbrot auf Bestellung aus dem Meer fischen.
An Tag fünf der Reise erreichen wir im Dunst von anhaltendendem Nieselregen einen der landschaftlichen Highlights: Darrynane Harbour. Eine flache, enge und mit vielen Untiefen gespickte Einfahrt führt in eine kleine, von Festland und Inseln rundum geschützte Bucht. Mit weichen, strahlend weißen und kilometerlangen Sandstränden, umgeben von struppig bewachsenen Dünen. Gelegen am Ring of Kerry, einer 180 Kilometer langen Panoramaroute rund um die Ivaregh-Halbinsel, unter Landtouristen der Höhepunkt einer Irlandreise.
„Ich gehe baden“, entscheidet Crewmitglied Christian trotz gefühlter zehn Grad Lufttemperatur und springt in das vom Golfstrom aufgewärmte Meerwasser. Der Rest der Crew schlendert barfuß über den einsamen Strand, sammelt angeschwemmte Muscheln und bunte Steine.
„Den Ort hätten wir uns sparen können“, meint Anita beim Ablegen in Cahersiveen. Nicht einmal der nagelneue Yachthafen und der große Supermarkt, auch nicht die navigatorisch reizvolle Revierfahrt auf einem zwei Seemeilen langen Flusslauf konnten darüber hinwegtäuschen, dass der Ort, durchzogen von einer lauten Durchgangsstraße, nicht viel zu bieten hat. Doch über die vollen Tanks und die aufgeladenen Handys sind alle glücklich, ebenso über das Wohlgefühl nach einer warmen Morgendusche und die vielen frischen Vorräte.
Great Blasket Island kommt im Dunst der tiefliegenden Wolken erst spät in Sicht. Das ehemals westlichste Dorf Europas wurde bereits 1954 aufgegeben. Auf dem windumtosten Eiland war das Leben der nur 22 Bewohner zu beschwerlich und zu abgeschieden. Seitdem verfallen die kleinen Steinhäuser der im Hang klebenden Siedlung. Nur ein paar Schafe, drei zerzauste Esel und ein paar Hobbyornithologen bleiben hier länger als nur ein paar Stunden. Wunderschön ist der Blick über das 300 Meter aus dem Meer aufsteigende, zerfurchte Karstland, die ankernden Boote und den von hohen Klippen eingerahmten Bilderbuchstrand. „Der schönste Stopp der Reise“, findet Frank.
Dingle Harbour ist ein lebendiger Touristenort in dem Segler willkommen sind
Zum Wendepunkt des Törns geht es nebenan aufs Festland nach Dingle Harbour. Mit 2.000 Einwohnern und 57 Pubs entwickelt sich der Fischerort immer mehr zu einem bekannten Ferienzentrum, sogar Ted Kennedy und Julia Roberts haben hier schon ihre Ferien verbracht. Der wirkliche Star des Ortes aber heißt Fungie und ist ein vier Meter langer, männlicher Großer Tümmler. Seit 1983 lebt der Delfin an der schmalen Einfahrt der weiträumigen Hafenbucht, täglich besucht von Ausflugsbooten, Paddlern und Tauchern. „Das ist ja total wahnsinnig“, freut sich Anita, als auch wir von Fungie empfangen werden, der mit unserer Bugwelle um die Wette schwimmt. Warum sich das frei lebende Tier hier einen festen Wohnsitz eingerichtet hat und nicht zusammen mit seinen Artgenossen auf Wanderschaft geht, ist den Wissenschaftlern immer noch ein Rätsel. Seit Oktober 2020 aber ist Fungie nie mehr gesehen worden.
Zurück nach Kinsale, 110 Seemeilen, zweieinhalb Tage Zeit. „Endlich mal ein Revier mit Windgarantie, dazu eine superschnelle Charteryacht, das muss man ausnutzen“, hatten wir bei der Planung entschieden. Immer noch beherrschen dunkle Wolken und Regen das Bild, dazu mäßiger Nordwind. Gemütlich schippern wir zurück Richtung Süden. Über die Bedingungen, das Revier bei Starkwind erobern zu müssen, können wir nur spekulieren. „Je nach Windrichtung kann das sehr hart, bei Weststurm sogar unmöglich werden“, lege ich mich fest, „aber dann kann man ja auch an der Südküste bleiben.“
Voraus liegen die letzten Highlights einer von rauer Natur, wildem Tierleben, einsamen Buchten und gemütlichen Ortschaften geprägten Segelreise. Insbesondere die berühmteste Wendemarke der Welt: der Fastnet Rock. „Total schön“, staunt Anita bei der Umrundung über den rauen Felsen mit seinem schlanken, weißen Leuchtturm. „Hätte ich gewusst, was einen hinter dem Felsen alles erwartet“, erinnere ich mich an meine erste Umrundung des Felsens während der Teilnahme an einem Fastnet Race, „niemals wäre ich einfach nur umgekehrt und wieder zurück nach England gesegelt.“
Charter
Das Charterangebot in Irland ist gering, internationale Flottenbetreiber mit großen Stützpunkten gibt es keine. Immer wieder aber finden sich vor Ort wie in Kinsale lokale Firmen, die mal mit nur einer, mal mit einer Handvoll Yachten operieren. Diese deutschen Charter-Agenturen versuchen, dich bei deiner Suche zu unterstützen.
Ein großartiges Revier mit wunderbaren Menschen und Orten. Und als Segler ist man überall herzlich willkommen! Als Charterfirma kann ich Sovereign Sailing in Kinsale empfehlen (http://www.sovereignsailing.com), toller Service. Und wer schon in Castletownshend ist, der muss unbedingt Mary Ann´s Bar besuchen, eines der besten Seafood-Restaurants überhaupt. Aber es gibt ja so viele gute Tipps…