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Jonathan besegelte zusammen mit seiner Frau Claudia von 2013 bis 2019 die Welt. Sie ließen 25.000 Seemeilen im Kielwasser und befuhren ganze drei Jahre lang ihr Traumrevier: den Pazifik. Neben der klassischen Barfußroute besuchten sie vor allem auch abgelegenere Ziele wie die Osterinsel, die Tuamotus, Kiribati, Tuvalu und die Marshallinseln. 2023 veröffentlichten sie das Buch über ihre Reise „Sieben Farben Blau“. Jonathan arbeitet als Journalist rund um das Thema Segeln und Reisen und ist Referent und Organisator verschiedener Seminare und Vorträge. Seit 2020 ist Jonathan Mitglied der BLAUWASSER.DE-Redaktion.
Auf dem Seeweg zum Pilgerort Santiago de Compostela
„Sie haben ja nur Stempel von Yachtclubs und Häfen in ihrem Pilgerausweis“, wundert sich die Dame vom Pilgerbüro in Santiago de Compostela, in dem ich meine offizielle Pilgerurkunde abholen möchte. „Ja, das ist richtig“, erwidere ich, „ich bin mit einer Yacht hierher gepilgert“. Die meisten Pilger scheinen nicht auf diesem Weg an das Ziel des Jakobswegs zu kommen, dennoch ist es eine offiziell anerkannte Variante und schlussendlich bekomme ich meine Urkunde, die meine Pilgerreise nach Santiago de Compostela bestätigt.
Der Pilgerausweis (auch Pilgerpass oder Pilgerbrief genannt) ist ein Dokument, das ein Pilger auf der so genannten Jakobswallfahrt mit sich führt. Es weist ihn offiziell als Pilger auf dem Jakobsweg aus. Das ist beispielsweise wichtig für verschiedene Herbergen auf dem Landweg, um Einlass sowie hier und da auch eine Vergünstigung zu bekommen. Darüber hinaus bescheinigt der Pilgerpass, auf welchem Weg die Pilgerschaft zurückgelegt wurde und dass diese ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Als Nachweis gelten Stempel, die an anerkannten Pilgerstopps in den Ausweis gestempelt werden. Auch das Fortbewegungsmittel muss angekreuzt werden. Interessant für Segler: Es steht auch eine Yacht zur Auswahl.
Die jahrhundertealte Tradition der Pilgerschaft zur Grabstätte des heiligen Apostel Jakobus in Santiago de Compostela hat in den letzten Jahren eine Art Renaissance erlebt. Immer mehr Menschen begeben sich auf diese sicherlich bedeutendste Wallfahrt im christlichen Europa. Spätestens durch das Buch Ich bin dann mal weg von Hape Kerkeling ist dieser Trend auch in Deutschland angekommen. Viele traditionelle Wege ziehen sich kreuz und quer über Europa nach Santiago. Die Wege entlang der spanischen Atlantikküste sind zwei davon.
Meiner Meinung nach ist das eine ganz besondere Art den auch als „El Camino“ bezeichneten Weg zurückzulegen. Was gibt es Besseres als ein Segelboot, um zu entschleunigen, die Seele baumeln und die Gedanken über den Horizont schweifen zu lassen? Sollte eine Pilgereise nicht immer auch eine Zeit der Reflektion und des Innehaltens sein? Aber nicht nur der historische Hintergrund und die Erfahrung einer Pilgerreise lassen sich auf dieser außergewöhnlichen Yachtreise erleben. Zugleich finden wir hier die Möglichkeit, die wilde und raue Schönheit der galicischen Küste mit ihren steilen Klippen, weißen Stränden und den berühmten, tief eingeschnittenen Rias (tiefe Meeresbuchten meist mit einer Flussmündung) zu erkunden.
Der Xacobeo Nautico – der maritime Jakobsweg vor Galicien
Die Regeln, um mit einer Yacht auf dem Jakobsweg zu segeln, sind klar definiert. Es müssen mindestens neunzig Seemeilen auf dem Seeweg zurückgelegt werden. Entscheidend dabei ist die Distanz zwischen dem ersten und letzten im Pass abgestempelten Hafen. Vom letzten Hafen aus muss dann der restliche Weg nach Santiago de Compostela gelaufen werden. Vom nächstgelegenen Hafen Portosin sind das etwa vierzig Kilometer. Wer den Fußweg verkürzen möchte, kann auch zunächst mit dem Beiboot etwas weiter den Fluss hinauffahren.
Der Verband der galicischen Yachtclubs ASNAUGA (Asociación de Náuticos de Galicia) fördert den Maritimen Jakobsweg. Im überwiegenden Teil der zugehörigen Yachtclubs sind Informationen, die Pässe sowie die erforderlichen Stempel erhältlich.
Es gibt zwei Routen entlang der galicischen Küste. Die nördliche und navigatorisch anspruchsvollere Route führt von Ribadeo am Golf der Biskaya die Costa da Morte entlang um das Kap Finisterre herum bis in die Ria de Muros e Noia nach Portosin. Die südliche, etwas entspanntere Route hat dasselbe Ziel, geht aber von Baiona oder Vigo durch die gut durch vorgelagerte Inseln geschützten Rias von Vigo, Pontevedra, Arousa und Muros e Noia. Hier finden segelnde Pilger in der Regel optimale Segelbedingungen mit passablem Wind und geringem Seegang in wunderschöner Umgebung vor. Nur bei den Überfahrten von einer Ria in die nächste sind die Reisenden dem Seegang des offenen Atlantiks ausgesetzt.
Unter Segeln auf dem Jakobsweg
Das galicische Charterunternehmen Sailway ist einer der Anbieter für die südliche Route. Sailway hat verschiedene mehrtägige Angebote im Programm, um auf dem Jakobsweg zu segeln. Ein bunter Mix aus Segeln und Ausflügen, bei dem sowohl die atemberaubende galicische Natur bewundert als auch die kulinarische Vielfalt der Region genossen werden kann. Während des Törns werden alle Voraussetzungen zum Erhalt der Pilgerurkunde erfüllt. Neben der Pilgerreise und den dazugehörigen Orten und Informationen finden auch Ankerstopps vor Stränden und Inseln statt. Gechartert wird eine Koje auf einer modernen Yacht mit Skipper.
Die Ria da Vigo und die Cíes-Inseln
Am ersten Tag werden wir freundlich im altehrwürdigen, über hundert Jahre alten Yachtclub von Vigo begrüßt, wo wir unsere Pilgerausweise bekommen. Ein paar Meter weiter lockt das eher als Industriestadt bekannte Vigo mit einer verwinkelten Altstadt samt schmaler Gassen und gemütlichen kleinen Restaurants oder Tapas Bars, die zum Verweilen einladen.
Zusammen mit drei weiteren internationalen Gästen und dem spanischen Skipper checken wir beim Yachtclub auf einer brandneuen Elan Impression 45 ein. Nachdem wir uns mit dem Boot vertraut gemacht haben, geht es auch schon los Richtung Baiona, wo wir im Yachtclub unseren nächsten Stempel bekommen sollen.
Die Ria de Vigo ist eine tief eingeschnittene Bucht und gut geschützt durch die vorgelagerten Cíes-Inseln. Der Skipper weist uns ein und dann hissen wir das Großsegel, rollen die Fock aus. Unsere Yacht legt sich auf die Seite, Schoten knarzen und wir nehmen Fahrt auf. Im Schutz der Isla Cíes gleitet die Elan wie auf Schienen über eine wellenlose See. Galicien zeigt sich von seiner besten Segelseite – ein Bilderbuchstart zum Einrahmen.
Der Yachtclub von Baiona ist direkt in die mittelalterliche Festungsanlage der Stadt integriert, ein kleiner Strand lockt zum Verweilen, die Uferpromenade zum Bummeln, Cafés und Bars zu einer gemütlichen Pause bei einem Bier oder Kaffee inmitten der verwinkelten Gassen der Altstadt, die nur einen Steinwurf weit von der Marina entfernt liegt.
Am nächsten Morgen geht es mit einem kurzen Schlenker über den Yachtclub von Cangas, wo wir einen weiteren Stempel bekommen, zu den Cíes-Inseln. Die von den Römern so genannten „Inseln der Götter“ sind ein Teil des Nationalparks Atlantische Inseln und eine wahre Naturschönheit.
Felsige Küsten wechseln sich mit bewaldeten Hängen und weißen Sandständen ab. Die Playa de Rodas wurde gar mal als einer der schönsten Strände der Welt tituliert. Ein mutiger Sprung von mir ins Wasser bringt im wahrsten Sinne des Wortes Ernüchterung und der Skipper kann sich ein Schmunzeln kaum verkneifen. Durch die kalten Meeresströmungen wird das Wasser hier gerade einmal 16 Grad warm. Sportlich für Schwimmer, aber umso besser für die Meeresfrüchte, die hier in allen Formen gedeihen.
Die Ria de Pontevedra
Beim Einlaufen in die Ria de Pontevedra, ungefähr fünfzehn Seemeilen weiter nordöstlich, werden wir von verschiedenen Delfinschulen begrüßt. Auch diese Ria ist reich an Meeresleben und umgeben von Felsen, Dörfern und bewaldeten Hängen.
Im Abendlicht laufen wir in den Hafen von Portonovo ein, der gut ausgestatte Yachtclub liegt direkt neben einem langgestreckten Sandstrand, an dem noch ein paar hartnäckige Sonnenanbeter die letzten Sonnenstrahlen ausnutzen. Im Clubhaus treffen wir auf den Vorsitzenden des Clubs, Javier Ruiz de Cortázar. Er leitet neben dem Club auch die ASNAUGA und freut sich, uns als Segelpilger zu begrüßen.
Ein neuer Tag bricht an, Zeit für den nächsten Stempel! Über der See liegt eine bleierne Flaute. Wir motoren eine Seemeile weiter in das benachbarte Sanxenxo. Der mondäne Badeort war in den achtziger Jahren Tummelplatz der Partykultur Madrids. Jetzt ist er etwas in die Jahre gekommen und deutlich ruhiger, lockt aber immer noch feierwillige Nachtschwärmer mit einer Promenade entlang eines weitläufigen Sandstrands an.
Der Yachthafen sieht gewaltig aus, doch beim genauen Hinsehen zeigt sich ein bizarres Detail. Zum riesigen, mehrstöckigen Clubhaus des Yachtclubs gehört nur eine verschwindend kleine Steganlage. Drumherum liegt die ehemals privat geplante Megamarina mit etlichen Plätzen für Superyachten, die sich in ihrer Gigantomanie aber wohl gnadenlos verkalkuliert hat und nun von der Stadt irgendwie gerettet werden muss.
Die Ria da Arousa
Raus aus der Welt der Reichen und Schönen und hinein in die Welt der Fischer. Die Ria Arousa empfängt uns mit diversen Plattformen, unter denen Muscheln gezüchtet werden. Meeresfrüchte gelten als der wahre Schatz Galiciens und die in der Ria liegende Halbinsel Arousa ist einer der Hauptexporteure für Miesmuscheln. Wir bestaunen die Berge von Muscheln im Fischereihafen, bevor es weiter in den benachbarten Yachthafen von Vilanova geht, um einen weiteren Stempel zu ergattern. Auch hier werden wir wieder freundlich empfangen, touristisch ist der Ort jedoch eher etwas ab vom Schuss.
So bleiben wir auch nicht lang und segeln einmal quer über die Bucht Richtung Ribeira. Es geht mit prall gefüllten Segeln flott voran, doch mit dem Sonnenschein der letzten Tage ist es leider vorbei. Dunkle Wolken ziehen auf und der erste Regen macht sich bemerkbar, Nordseewetter in Spanien. Auch für diese schnellen Wetterwechsel ist Galicien berühmt und berüchtigt. Wir nehmen es gelassen und steuern den Yachtclub von Ribeira an, wo eine sichere Steganlage und eine heiße Dusche auf uns warten. Nach dem obligatorischen Stempel vom Clubchef suchen wir uns im Ort eine Tapasbar. Die Wahl fällt auf „Pulpo a la Gallega“, Oktopus auf galicische Art. Ein Gaumenschmaus, bei dem der leckere regionale Weißwein Albariño nicht fehlen darf, wie der Kellner zu Recht anmerkt.
Ankunft in der Ria de Muros e Noia
Am nächsten Morgen geht es ordentlich zur Sache. Die nächste Etappe von ungefähr 25 Seemeilen ist größtenteils ungeschützt den Kräften des Atlantischen Ozeans ausgesetzt. Eine drei Meter hohe Atlantikdünung rollt auf uns und die felsige Küste zu. Mehr noch: Der Wind bläst uns ordentlich auf die Nase, dazu Regen und eine dichte, tiefhängende Wolkendecke. Die vorgelagerten Inseln können wir in dieser Wettersuppe nur erahnen. Schade, denn auch sie haben eine raue Schönheit, die wir uns gerne etwas näher angesehen hätten.
Etwas angespannt werfe ich einen Blick auf die Seekarte, wohlwissend, dass auf dieser Etappe Riffe und Felsen lauern, die beachtet werden müssen. Doch Skipper „Albino“ kennt das Revier wie seine Westentasche und navigiert uns sicher an jeder Untiefe vorbei. Der eine oder andere der Crew ist grün um die Nase, doch „Albino“ führt das stampfende Boot munter durch die Wellen und sorgt immer wieder für Spaß.
Schlussendlich sind alle Pilger an Bord froh, als wir endlich den Zielhafen Portosin erreichen und am Steg festmachen. Wir sind durchnässt und erschöpft, aber dennoch stolz und glücklich, zumindest den See-Teil der Pilgerreise schon einmal bestanden zu haben. Ab jetzt geht es an Land weiter.
Unermüdlich legt Skipper Albino nach kurzer Pause wieder ab und macht sich auf den Weg zurück Richtung Vigo, einem Galicier scheint so ein Schietwetter nicht wirklich etwas auszumachen. Wir hingegen werden schon erwartet, um unseren letzten Stempel im Yachtclub abzuholen und mit den noch etwas wackeligen Seebeinen den Landweg nach Santiago de Compostela anzutreten.
Santiago de Compostela
Das letzte Ziel des Jakobswegs, Santiago de Compostela, ist beeindruckend! Mittelalterliche Bauten reihen sich aneinander, enge Gassen und weite Plätze prägen das Stadtbild und über allem prangt die gewaltige Kathedrale mit der Grabstätte des heiligen Apostel Jakobus. Hier endet der Jakobsweg und so sind die Straßen gefüllt von munteren Pilgern, die wie wir stolz auf ihre Reise zurückblicken.
Unser erster Weg führt sodann auch in das eingangs erwähnte Pilgerbüro, um die Pilgerurkunde in Empfang zu nehmen. Dann geht es auf in die Kathedrale, wo wir unter einem gewaltigen goldverzierten Altar den Schrein bewundern können, der die Gebeine des Apostels beinhalten soll. Bei einem letzten Mahl in einem kleinen galicischen Restaurant können wir uns noch einmal durch die äußerst schmackhaften regionalen Tapas probieren, bevor wir glücklich in unsere Hotelbetten sinken. Das war eine außergewöhnliche und beindruckende Segelreise.
Die Anreise zum Jakobsweg unter Segeln
Sowohl La Coruña, Vigo als auch Santiago de Compostela sind gut mit dem Flugzeug zu erreichen. Meist muss – von Deutschland kommend – jedoch einmal umgestiegen werden. Für die südliche Pilgereise ist es am einfachsten, nach Vigo zu fliegen und von Santiago de Compostela wieder zurückzufliegen. Taxiverbindungen vom Flughafen Vigo zum Yachthafen sind regelmäßig und günstig. Wer mehr Auswahl bei den Flügen haben möchte, kann auch nach Porto in Portugal fliegen und die 150 Kilometer nach Vigo mit dem Zug oder Bus fahren. Porto wird von diversen Airlines angeflogen.
Ein Yacht chartern in Galicien
Wer eine Yacht in der Region chartern möchte, tut dies am besten in Vigo. Von dort sind die geschützten südlichen Rias, verschiedene gemütliche Hafenorte und die vorgelagerten Inseln Cíes und Ons gut erreichbar. Für die Pilgereise wird auch Kojencharter von Sailway angeboten.
Häfen & Ankerplätze in Galicien
Wer Galicien auf eigene Faust und über den Jakobsweg hinaus besegeln möchte, findet hier einen weiteren ausführlichen Revierführer.
Das Wetter im Seegebiet Galicien
Die beste Saison für Galicien reicht von April bis November. Am wärmsten ist es im Sommer, aber auch sonst ist es im Vergleich zu Deutschland eher mild. Stürme sind in der Saison eher selten, besonders im Frühjahr oder Herbst wird es allerdings hin und wieder nebelig. Regnen kann es immer mal wieder.
Die Navigation in den Gewässern von Galicien
Das Seegebiet um Galicien ist gut vermessen, Kartenmaterial und Handbücher sind zuverlässig. Aufgepasst werden muss vor allem mit Felsen und Riffen, aber die sind in den Karten verzeichnet und stellenweise auch durch Tonnen markiert. Auch Einfahrten sind gut markiert und die Küste mit Leuchtfeuern ausgestattet. Vorsicht mit dem Fischereibetrieb, nicht nur die in den Rias liegenden Muschelfarmen müssen umsegelt werden, besondere Vorsicht ist auch bei den leider oft nur schlecht markierten Reusen geboten.