Ausführlicher Erfahrungsbericht Pazifiküberquerung. 3000 Seemeilen Endlosigkeit.

Ein Beitrag von

Dagmar Garlin

Dagmar hat mit ihrem Mann Jens von 2014 bis 2016 die Welt, im Rahmen der World ARC, umsegelt. Nach ihrem Start in Heiligenhafen haben sie mit ihrer 44 Fuß X-Yacht insgesamt rund 25.000 Seemeilen geloggt. Über die Reise ist das Buch "Garlix auf großer Fahrt" erschienen.

Der Start zur Pazifiküberquerung

Danke Tag, für den blauen Himmel und den sanften Wind. Mit einem Pelikan auf der Bugspitze und einem blaufüßigen Tölpel auf den Solaranlagen fahren wir langsam aus der Academy Bay von Santa Cruz, Galapagos. Mehr als zwei Wochen konnten wir die Tierwelt hier genießen und in unmittelbarer Nähe Zeit mit ihr verbringen. Wir hatten ausreichend Zeit, doch jetzt wollen wir weiter; es kribbelt im Bauch. 3.000 Seemeilen liegen bis zur Insel Hiva Oa in Französisch-Polynesien vor uns!

Wie bereitet man sich auf eine solche Entfernung vor? Auf jeden Fall sind wir nicht mehr so aufgeregt wie beim Start zur Atlantiküberquerung auf den Kanaren. Die Erinnerung an die vielen Menschen und zahlreichen Ratgeber ist im Rückblick fast erschreckend. Inzwischen haben wir mehr Erfahrung, allerdings fast noch mehr Respekt vor dem Meer. Aufregung hilft nicht, eher ein aufgeräumtes Boot. Also haben wir vor dem Aufbruch aufgeräumt. Gestern Abend haben wir auch noch gepflegt unser letztes Glas Wein für die nächsten Wochen getrunken. Denn unterwegs herrscht Alkoholverbot. Und heute früh nach dem Auschecken haben wir uns per Skype von unseren Familien verabschiedet. Wir sind froh, dass wir heutzutage solch eine Technik nutzen können. Jetzt, drei Stunden nach dem Start, ist schon wieder eine fantastische Ruhe an Bord.

Endlich sind wir wieder unterwegs. Alle Gedanken kommen zur Ruhe, es ist wie eine Landung im Kopf.

Dieses Gefühl ist genau das, was solche Strecken gut macht. Dafür sind wir unterwegs.

Dagmar und Jens Garlin an Bord der GARLIX

Tag 3 der Pazifiküberquerung

Tag drei auf See. Noch 2.650 Seemeilen bis Hiva Oa. Endlich Wind, 15 Knoten aus Südost und wir kommen vorwärts. Der gestrige Tag war zermürbend. Es war ein Pazifik ohne Wind. Zuverlässig fließt der Humboldtstrom Richtung Westen. Dadurch werden uns circa ein bis zwei Seemeilen pro Stunde geschenkt.

Wir sind zu dritt an Bord: Mein Mann Jens, unsere Freundin Hanna und ich. Alle drei sind wir noch etwas fertig. Nach der Zeit an Land müssen wir uns erst wieder an das Segelleben und an den Wachrhythmus gewöhnen. Dadurch, dass wir zu dritt an Bord sind, gestalten sich die Nachtwachen entspannter. Jens bleibt bis 24 Uhr draußen und um vier Uhr werde ich von Hanna abgelöst. Dadurch kann ich zweimal im Dunkeln in die Koje krabbeln und kann nicht nachvollziehen, warum diese Wache ab Mitternacht im Seglerjargon Hundewache genannt wird.

Galapagos bleibt im Kielwasser der GARLIX zurück.

Gegen Mittag herrscht große Aufregung an Bord. „Jens, Hanna, kommt mal an Deck. Was ist das für ein Fleck dort am Horizont?“ Ein kleines Schiff nähert sich und wir haben große Bedenken. Gerade in diesen Gewässern, unweit der Küste von Ecuador, wird vor Piraten gewarnt. Ein kleines Boot kommt direkt auf uns zugerast. Das ist ein mulmiges Gefühl. Hier im endlosen Nichts des Ozeans bekommen wir Besuch von Fischern. Doch die jungen Männer sind freundlich und fragen nach Bier und Zigaretten. Doch wo kommen sie her? Sie können doch nicht mit dem Boot aus Ecuador gekommen sein. Dann sehen wir auf dem Kartenplotter 20 Seemeilen weiter das Mutterschiff. Wir sind froh, als sie mit unserem Bier wieder abziehen, gut gelaunt und fröhlich winkend. Vorher posieren sie noch mit einem riesigen Fisch für unsere Kamera.

Besuch von einem Fischerboot auf hoher See.

Dann, eine Stunde später, rumpelt es unter dem Boot. Was ist denn das? Erdbeben, Tsunami, Grundberührung? Unter der GARLIX sind 3.000 Meter Wasser und wir stehen komplett still im Pazifik. Was für ein Mist – wir sind in ein schwimmendes Fischernetz geraten. Die Vorstellung, in dieser Unendlichkeit des Ozeans ins Wasser zu müssen, ist nicht sehr angenehm. Doch wir haben Glück und können uns herausschneiden. Nichts ist im Propeller hängen geblieben. Ansonsten ist die Stimmung sehr gut.

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Tag 4 der Pazifiküberquerung

Vierter Tag auf See. Der Pazifik ist weder still noch ruhig. Bei uns ist er grau, squallig und stimmungsvermiesend. Dabei haben wir noch nicht einmal so viel Wind, sondern nur etwa 15 bis 25 Knoten, im Squall auch mal etwas mehr, aber es ist okay. Die Wellen sind kabbelig und nehmen eine direkte Verbindung zum Magen auf. Ein Blick in den Himmel, es ist einfach alles grau. Ein Blick Richtung Horizont – da ist nur Wasser, überall. Der Stimmung zuträglich ist auch nicht, dass sich unsere Fock nicht mehr auf- oder zurollen lässt. Aber das Problem ignorieren wir heute und konzentrieren uns darauf, uns an diese Schaukelei zu gewöhnen. Nur mit Großsegel segeln wir immer über sieben bis neun Knoten. Das reicht.

Am vierten Tag auf See sind wir in einer grauen Welt unterwegs.

Tag 5 der Pazifiküberquerung

Tag fünf. Vor uns liegen noch 2.230 Seemeilen. Heute ist Sonntag und immer noch sehen wir in einen grauen Horizont. Ab und an regnet es. Graue, dunkle, nasse Welt hier. Der Wind kommt mit 90 Grad von der Seite, was das Leben an Bord in eine Zirkusveranstaltung verwandelt. Jeder Schritt muss bedacht werden. Bei dem ständigen Hin und Her der Wellenbewegungen krängen wir unangenehm schräg, was das normale Leben zum Erliegen bringt. Da schleicht sich schon mal der Gedanke ein: „Warum machen wir das noch mal?“

Es regnet: „Graue, dunkle, nasse Welt.“

Die Schaukelei zwingt uns zur Inaktivität. Die einzige sinnvolle Tätigkeit ist Lesen, wenn es der Magen zulässt. Welch ein Genuss ist das, irgendwo auf der Leeseite mit einem Buch in der Hand im Boot zu sitzen. Wir lesen und schlafen uns durch den Tag und freuen uns auf morgen. Das muss ein besserer Tag werden, denn dann wird eine Eins vor der noch zu segelnden Strecke stehen. Das motiviert.

Gegen Nachmittag reißen wir uns aus unserer Lethargie. Was ist mit unserer Rollvorrichtung am Vorsegel? Unsere Bedenken wachsen, dass wir im Falle eines Squalls das Segel nicht wegrollen können. Doch auf dem Vorschiff ist aktuell der denkbar ungünstigste Arbeitsort. Das Boot rollt hin und her, nach rechts, nach links. Ewig. Immer. Da unsere zurückgelegte Distanz in den letzten 24 Stunden 207 Seemeilen betrug, reicht uns unsere Geschwindigkeit und wir beschließen, auf eine Windpause zu warten.

Es gibt Probleme mit dem Vorsegel.

Zwei Stunden später stellt Jens per Fernglas eine niederschmetternde Diagnose bezüglich des Problems mit der Rollvorrichtung. Er meint, dass das Drucklager vom Furler im Mast kaputt sei. Das werden wir von hier aus nicht reparieren können. Bleibt nur unser Großsegel oder wir gehen das Risiko ein, mit offener Fock keine Möglichkeit zu haben, diese im Sturm zusammenrollen zu können.

Wir sind niedergeschlagen, doch können wir daran nichts ändern. Wir benötigen ein neues Drucklager. Dieses wollen wir per Mail bestellen und beschreiben dem Lieferanten unsere aktuelle Situation hier auf dem Pazifik. Seine Antwort „Die Bestellnummer steht oben auf dem Drucklager. Können Sie diese bitte dort abschreiben?“, macht uns sprachlos. Abschreiben, 21 Meter hoch, nur Wellen um uns. Manche Menschen haben den Bezug zur Realität verloren.

Kommunikation auf See. Hier mit dem Rigg-Hersteller.

Tag 6 der Pazifiküberquerung

Tag sechs. Uns gibt es noch, als kleinen Punkt auf diesem großen Wasser. Hinter uns liegen schon mehr als 1.000 Seemeilen und fast 2.000 Seemeilen noch vor uns. In unserer Kajüte hängt ein Wasserball-Globus. Auf dem ist die Fläche des Pazifiks ausgesprochen dominierend. Jetzt können wir es mal wagen, uns auch gedanklich mit der ungeheuren Größe dieses Meeres zu beschäftigen.

Der Pazifik

Der Pazifische Ozean, auch Stiller oder Großer Ozean genannt, erhielt seinen Namen vom portugiesischen Seefahrer Magellan, der auf diesem mehrfach Flauten erlebte. Seine Ausmaße sind beeindruckend und aus unserer Position heraus erschreckend. In Nord-Süd-Richtung dehnt er sich über 15.000 Kilometer aus und von West nach Ost sind es circa 16.000 Kilometer. Sämtliche Landflächen dieser Erde hätten in seinem inneren Bereich Platz.

Die tiefste Stelle des Pazifiks liegt im Marianengraben und misst etwa 11.019 Meter. Im Durchschnitt ist er circa 4.200 Meter tief. Er enthält fast 700 Millionen Kubikmeter Wasser, das sind 3,5 Trillionen volle Badewannen. Und wir sind mitten darauf, nämlich heute am 10. März 2015 um 22:00 UTC auf 06°15’ S und 106°40’ W. Nur Wasser ist um uns. Angesichts unserer Position fragen wir uns tatsächlich, warum die Erde nicht Wasser heißt.

Die Sonne scheint und unsere Stimmung steigt.

Unsere Stimmung steigt. Die Sonne scheint und wir erleben weniger Squalls. Es ist schon beängstigend, wie abhängig wir von der Sonne sind. In dieser Sonnenstimmung ist Jens tatsächlich in den Mast geklettert, bei 15 Knoten Wind und zwei bis drei Meter hohen Wellen. Kein Spaß, aber notwendig. Das Ergebnis ist überaus erfreulich. Denn nicht das Drucklager ist kaputt, sondern die Schiene vom Vorstag hat sich um circa 30 Zentimeter gesenkt, da sich die drei unteren Fixierungsschrauben gelöst haben.

Die Schrauben können wir ersetzen und die Schiene wieder hochschieben. Das ist erst einmal gut. Negativ ist nur, dass Jens dazu noch einmal in den Mast muss, um das obere Lager in die Schiene einzufädeln. Das verschieben wir auf später, denn so spaßig ist es da oben nicht. Jens hat sich am Vorstag hochziehen lassen. Dort kann er sich dann mit der Lifeline festbinden und damit sichern. Am Mast wäre diese Sicherung durch die Wanten und Salinge nicht möglich und er würde durch die Schiffsbewegungen hin- und herschlagen. Die Möglichkeit, sich am Vorstag hochziehen zu lassen, hat er für die nächste Aufgabe jedoch nicht. Denn für diese muss das Vorsegel offen sein. Wir werden daher ein Reservevorstag ziehen müssen, welches er dann ersatzweise nutzen wird. Ich bete darum, dass er nicht mit dem Kopf irgendwo anschlagen wird. Ein Schutzhelm wäre gut. Leider haben wir keinen an Bord.

GARLIX in den Weiten des Pazifiks

Heute ist übrigens schon vergleichsweise viel passiert. Ein japanischer Fischer ohne AIS-Signal war in Sichtweite und ein AIS-Signal auf dem Kartenplotter zu sehen. Seit unserer Begegnung vor drei Tagen mit den Fischern aus Ecuador sind wir keinem Schiff mehr begegnet. Das Segeln auf dem Pazifik ist nicht vergleichbar mit der Segelei auf der Ostsee oder im Kattegat und Skagerrak. Dort muss man ständig wachsam sein und Schiffen ausweichen. Hier begegnet man tagelang niemandem. Wir sind komplett allein. Das wiederum ist allerdings auch gefährlich. Man verfällt in eine Art Lethargie und meint leicht, es wird schon nichts sein. Im Grunde passen wir in der Nacht mit unserem festen Wachrhythmus mehr auf als am Tag.

Der Tag geht, die Nacht mit Wachrhythmus kommt.

Tag 8 der Pazifiküberquerung

Achter Tag. Vor uns liegen noch 1.700 Seemeilen. Wir sind mit der World-ARC unterwegs – einer Rallye um die Welt. Aus unserer Flotte sind wir das nördlichste Boot. Alle anderen Yachten segeln weiter südlich. Diese Tatsache lässt uns unsere Segelstrategie überdenken. Warum segeln wir so weit nördlich? Es ist ja nicht so, dass wir das Abbiegen Richtung Süden vergessen haben.

Wir sind mit der World-ARC unterwegs – einer Rallye um die Welt.

Unsere Strategie setzt sich aus verschiedenen Punkten zusammen: erstens aus der Performance unserer Segel und den Segeleigenschaften unserer GARLIX. Eine XP 44 benötigt nicht so viel Wind, um schnell zu segeln. Die GARLIX erreicht die beste Geschwindigkeit bei circa 130 Grad wahrem Wind (Windrichtung, aus der der Wind wirklich herkommt) bzw. 90 Grad scheinbarem Wind (Windrichtung nach Verrechnung mit der Bootsgeschwindigkeit). Laut Polardiagramm sollten wir eine Geschwindigkeit von 9,71 Knoten bei 14 Knoten Wind und 130 Grad wahrem Wind erreichen. Das schaffen wir mit unserem voll beladenen Boot natürlich nicht. Außerdem fehlt uns der Gennaker – er hat einen Riss und muss zum Segelmacher.

GARLIX ist eine XP44 und läuft am besten bei 130 Grad scheinbarem Wind.

Als zweiter Punkt sind Wind, Wetter, Strömung und der kürzeste Weg zu nennen. Nach Auswertung der Monatsströmungskarten des Pazifiks, in die die Erfahrungen und Daten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte von Wind und Strömung einfließen, ist am Äquator aufgrund des Kalmengürtels sehr wenig Wind. Je südlicher man kommt, umso mehr frischt der Wind auf. Diese Monatsströmungskarten vergleichen wir mit dem täglichen Wetterbericht, den wir über unser Kurzwellenfunkgerät abrufen. Demnach ist im Süden tatsächlich etwas mehr Wind. Aufgrund der Tatsache, dass bereits 14 Knoten Wind ausreichen, um anständig schnell zu segeln, lohnt sich der Umweg nach Süden aus unserer Sicht nicht. Laut Polardiagramm ist die XP 44 bei 16 Knoten Wind nur 0,37 Knoten schneller als bei 14 Knoten Wind. Außerdem sind die Wellen bei 14 Knoten Wind ebenfalls geringer, dadurch wird das Leben auf dem Boot angenehmer.

GARLIX in ihrem Element

Nun noch kurz zur Strömung. Der Humboldtstrom, der das kalte Wasser vom Südpol entlang der Küste von Südamerika transportiert und dann den Weg Richtung Westen entlang des Äquators einschlägt, haben wir zu schätzen gelernt. Nach unserer Recherche ist er zwischen dem fünften und achten Längengrad am stärksten, also dort, wo wir gerade sind. Dadurch, dass wir nicht so sehr in den Süden gesegelt sind, nehmen wir den kürzesten und direktesten Weg nach Hiva Oa. Zum Ende der Strecke soll der Wind auf Südost drehen, sodass wir dann anluven werden und unsere Geschwindigkeit beibehalten können.

So weit zur Theorie. Wir werden sehen, wo und wann wir am Ende ankommen. Wenn man jedoch bedenkt, dass wir an einem Tag nur mit Großsegel segeln konnten, liegen wir gar nicht so schlecht im Feld. In den letzten Tagen haben wir immer Etmale um und über 200 Seemeilen erreicht. Damit sind wir zufrieden.

Die nächste Nacht bricht an.

Tag 10 der Pazifiküberquerung

Die zehnte Nacht. Vor uns liegen noch 1.200 Seemeilen. Nichts ist zu sehen, völlige Schwärze. Es ist 3:30 Uhr oder so ähnlich. Das mit der Uhrzeit an Bord ist ein ständiges Diskussionsthema. Wie spät ist es? 3:30 Uhr ist es jetzt auf den Galapagosinseln, 9:30 Uhr laut UTC und 10:30 Uhr in Deutschland. Aber hier müsste es jetzt eigentlich 1:30 Uhr sein. Hinter uns liegen 1.800 Seemeilen und ungefähr alle 900 Seemeilen verschiebt sich die Zeit um eine Stunde. Auf den Marquesas-Inseln beträgt die Zeitverschiebung UTC minus 9,5 Stunden. Alles klar?

Wir müssen flexibel bleiben, aber so richtig interessieren wir uns auch gar nicht dafür. Bei uns in der Koje hängt immer noch die Funkuhr mit der deutschen Zeit. Damit wir immer wissen, wann wir zu Hause nicht anrufen dürfen. Häufig wird an Bord auf die Frage, wie spät es ist, beispielsweise geantwortet: »15 Uhr minus sieben Stunden!« Das liegt daran, dass die Ortszeit dann gerade nicht zur Hand ist und die deutsche Zeit so gut sichtbar an der Wand hängt.

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Es ist jedenfalls Nacht. Das zumindest ist richtig, da es dunkel ist. Und freundlicherweise wacht der Mond seit einer Stunde über uns. Überhaupt ist der Himmel hier völlig anders als auf der Nordhalbkugel. Die Mondsichel ist andersherum als gewohnt und vor mir prangt das Kreuz des Südens. Nicht nur wir allein, sondern viele Segler sind stolz, dieses sehen zu dürfen. Immerhin sind wir dafür weit gesegelt.

Bordalltag 😉

Wie geht es uns so auf dem Wasser? Ich denke, der Pazifik ist freundlich zu uns. Wir rasen durch das Wasser, manchmal ist das unheimlich. Vor allem in der Nacht, wenn man mit acht bis neun Knoten durch die schwarze Dunkelheit prescht. Die Wellen zicken ein wenig rum. Wie hoch sie sind, kann man schwer einschätzen, vielleicht drei bis vier Meter. Sie kommen von schräg hinten und jede x-te Welle spielt mit uns Zirkus.

Unsere Fock bzw. die Rollanlage ist noch nicht repariert, da das momentan bei den hohen Wellen zu gefährlich ist. Das hat zwar zur Folge, dass wir die Fock immer noch nicht beim Sturm einrollen können. Aber wir sind Optimisten. Ab Montag soll es weniger Wind werden. Hoffen wir, dass die Wellen das auch mitbekommen.

Der Pazifik ist freundlich zu uns.

Tag 12 der Pazifiküberquerung

Noch sind es 780 Seemeilen. Seit zwölf Tagen sind wir unterwegs. Tagelang haben wir kein Boot gesehen und dann das – unser „Lieblingsgegner“ ist auf dem Schirm! Der Tag geht gut los. Die blaue First 47 aus unserer WORLD-ARC-Truppe ist in Sichtweite. In der letzten Nacht hatten wir alle etwas zu kämpfen. Nicht mit viel Wind, sondern mit zu wenig Wind genau von hinten. Damit wir nicht zu weit vom Kurs abkommen, habe ich in der Nacht die Fock zusammengerollt, damit wir mit fast genau achterlichem Wind segeln können und damit besser den Kurs halten.

Der Wind drehte immer mehr und wurde weniger. Äußerst unangenehmes Schlafen war das. Das Boot schaukelte wie eine bockige Ente und die Segel schlugen und krachten, absolut unangenehm. Bei Sonnenaufgang haben wir den Code Zero ausgebaumt und nun segeln wir Schmetterling, also genau platt vorm Wind, bei nun wieder zunehmendem Wind mit sieben bis acht Knoten. Insgesamt sind wir mit unserer Geschwindigkeit zufrieden. Für die 2.200 Seemeilen von den Kapverden nach St. Lucia haben wir knapp 13 Tage und Nächte gebraucht. Jetzt sind wir im Vergleich dazu fast 48 Stunden schneller.

Das Feld der ARC-Boote zieht sich weit auseinander. Zwischen dem ersten und dem letzten Schiff liegen bereits 700 Seemeilen! Diese Tatsache macht die tägliche Kommunikation über Funk schwierig. Die Meldungen werden teilweise durchgereicht. Jeder, der etwas versteht, wiederholt den Funkspruch. So kommt dieser – meistens – bei allen Booten an. Täglich werden morgens alle Positions- und Wetterdaten durchgegeben und am Abend kurz noch einmal die Frage, ob alles an Bord okay ist. Bisher gab es auf keinem Boot große Probleme. Bei den langen Entfernungen zwischen den Schiffen wäre Hilfe auch nicht spontan möglich. Aber trösten tut es schon, wenn man irgendwo berichten kann, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Gemütlich im Cockpit lesen, während das Ziel näher kommt.

Uns erreichen besorgte Mails. Vanuatu wurde am 14. März vom Zyklon Pam verwüstet. „Seid Ihr davon auch betroffen?“ Nein, sind wir nicht. Vanuatu liegt noch ungefähr 4.500 Seemeilen weiter westlich von uns. Unsere Gedanken beschäftigen sich sehr mit den Menschen dort. Für uns sind Windgeschwindigkeiten von mehr als 300 Stundenkilometern einfach unvorstellbar. Welch ein Grauen und welch eine Zerstörung in dem armen Inselstaat.

Die beste Nachricht des Tages hingegen ist, dass unsere Fockrollvorrichtung wieder in Ordnung ist. Jens war noch einmal im Mast und hat alles heil überstanden. Daneben bereiten wir uns gedanklich schon langsam auf die Ankunft vor, machen Reisepläne, welche Inseln wir besuchen werden. Bald geht die Aufregung also wieder los. Für heute brauchen wir aber keine weiteren Ereignisse mehr.

Das Segeln über Ozeane ist mitunter ein Balance-Akt.

Tag 14 der Pazifiküberquerung

Noch 500 Seemeilen. Wieder ist es Nacht und ich denke über diese 3.000 Seemeilen lange Strecke nach. Ist das jetzt alles einfach? Alles kein Problem? Vor 255 Tagen sind wir in Deutschland gestartet. Bis dahin hatten wir kaum Erfahrung mit Langstrecken- oder Nachtsegeln. Wir wussten also gar nicht, was auf uns zukommt. Seit dem Start sind wir bis heute 55 Nächte gesegelt.

55 Nächte liegen inzwischen in unserem Kielwasser.

Zudem wussten wir nicht, wie wir diese Wellen und das Wetter überhaupt vertragen. Mein Magen konnte die kurzen, aber hohen Ostseewellen nur schlecht ausgleichen. Großen Respekt hatten wir vor der 350 Seemeilen langen Strecke über die Biskaya oder vor den 540 Seemeilen von Lissabon nach Madeira. Das waren die bis dahin längsten Strecken, die wir gesegelt sind. Immer wieder gab es Steigerungen. Von Las Palmas zu den Kapverden über 900 Seemeilen und dann die 2.100 Seemeilen von den Kapverden in die Karibik. Und jetzt segeln wir 3.000 Seemeilen am Stück, das klingt doch gigantisch. Unvorstellbar für uns damals auf unserer Wohnzimmercouch, als wir diese lange Strecke in unsere Exceltabellen eingetragen haben. Und nun haben wir sie fast geschafft, gefühlt können wir schon die Fender rausholen.

Blauwasser-Alltag. Trinkwasser wird in Flaschen umgefüllt.

Ist und war alles einfach? Die Antwort hat eine große Spanne von „ja, kein Problem“ bis „über manches sollte man nicht nachdenken“. Cruising-Passatsegeln ist so eine 80:20-Angelegenheit. Den größten Teil der Zeit macht man nicht wirklich etwas Sinnvolles. Manchmal erfolgen Tage, vielleicht Wochen keine Segelmanöver. Kurs und Wind, alles bleibt gleich. Aber es gibt eben niemals völlige Sicherheit, jeder kleine Fehler kann zur Katastrophe führen. Das ist allerdings auf jedem Gewässer der Welt so. Nur dass man hier angesichts der Endlosigkeit einfach keinen Plan B hat. Hier ist nichts, überall nichts.

Die Weite des Ozeans ist einerseits unglaublich ergreifend, andererseits ist man aber auch schutzlos. Wir wissen nicht, ob theoretische Rettungsketten im Fall der Fälle funktionieren würden. Manchmal reicht ein Moment der Unaufmerksamkeit. Beispielsweise denken wir oft mit Schrecken an unseren Start in Las Palmas zurück, wo sich ein Mitsegler bei einer missglückten Q-Wende an der Schulter verletzt hat. Heute wissen wir, dass damals die Schulter ausgekugelt wurde, dann in die Gelenkpfanne zurückgerutscht ist und dabei eine Sehne verletzt hat. Jetzt liegt er im Krankenhaus und wird daran operiert. Das ist nur ein kleines Beispiel, wie sich innerhalb von Sekunden die Sonnenscheinwelt ändern kann.

Innerhalb von Sekunden kann sich die Sonnenscheinwelt ändern.

Auch die technischen Dinge hier an Bord müssen immer funktionieren. Ganz bestimmt weiß ich, dass ich niemals solch eine Tour mitmachen würde, wenn der Käpt’n an Bord handwerklich nichts drauf hätte. Denn irgendetwas ist immer, die Belastung für das Boot ist erheblich und kein Handwerker erreichbar! Kleine, ungelöste Dinge können extreme Situationen auslösen. Ein kaputter Rutscher am Großsegel und das Segel kann nicht geborgen werden. Besonders problematisch im Sturm. Die Konsequenzen, die sich ergeben, wenn der Autopilot seinen Dienst einstellt, sind nicht auszudenken. Tagelanges, wochenlanges Steuern per Hand. Besonders grauenvoll, wenn man nur zu zweit an Bord ist. Die Beispiele, die ich aufzählen könnte, sind endlos. Und dann noch das Wesentliche: das Wetter, das sich immer schnell ändern kann. Bisher wurden wir von den Wettervorhersagen allerdings nicht enttäuscht. Ich klopfe auf Holz, dass das bitte weiter so bleibt.

Es ist schon wieder Nacht. Kein Mond ist zu sehen, aber Tausende Sterne. Einer von uns ist immer wach und passt auf. Gut angeleint mit Lifeline, Rettungsweste, Funkgerät und Lifesender. Dieser soll die schlafende Mannschaft wecken, wenn der Wachhabende über Bord geht. Aber bei dieser Dunkelheit und den Wellen wäre es fast unmöglich, jemanden wiederzufinden. Das ist alles nur Theorie.

Vor allem die Dunkelheit hätten wir so schwarz nicht erwartet. Der Blick nach vorne zeigt uns eigentlich nichts. Wir können Schiffe nur erkennen, wenn sie gut beleuchtet sind, unbeleuchtete oder schlecht beleuchtete Objekte jedoch nicht. Und die meisten Segelboote gehören zu den schlecht beleuchteten Objekten. So ist es hier also. Die Spanne reicht von „nee, ist das schön“ bis „ich will jetzt dringend nach Hause“. In diesem Sinn sind wir noch die letzten 500 Seemeilen unterwegs.

Immer wieder ein Highlight auf See – Delfine.

Tag 15 der Pazifiküberquerung

Noch 230 Seemeilen sind zu segeln. Fast wird die Zeit zu knapp, denn bei uns ist der Putz- und Aufräumwahn ausgebrochen. Das Teakdeck ist geschrubbt, die Bilgen sind gereinigt, alle Backskisten ordentlich, die Wäsche ist gewaschen, die Lederpolster sind gefettet. Wir können ankommen. Das Willkommensbier liegt im Kühlschrank, auch der Wein. Vor uns liegen noch circa ein bis zwei Nächte. Wir ahnen schon, dass wir wieder in der Nacht ankommen. Aber der Wind hat abgenommen. Nur noch zwölf bis 15 Knoten aus Ost. So schlimm ist das nicht. Solch ein langsames Ankommen am Tag hat auch seinen Reiz. Nur für die Boote hinter uns ist das ein Problem. Ohne Wind noch über 800 Seemeilen zu segeln, ist ausgesprochen zermürbend.

Unsere Reserven sind mittlerweile aufgebraucht. Zumindest alles, was frisches Gemüse heißt, ist alle. Jetzt sind wir froh, dass wir so viel Trockeneier an Bord haben, denn die schmecken gar nicht so schlecht. Auch ein frisch gebackenes Brot kann zum Tageshighlight werden. Dennoch freuen wir uns, bald anzukommen. Aber ein wenig schade ist es auch. Zu dritt hatten wir eine richtig gute Zeit hier draußen.

Endspurt der Pazifiküberquerung

Noch 80 Seemeilen. Es herrscht Stille auf dem Stillen Ozean. Kein Wind, nur Schwell. Was sagt uns das? Mach niemals die Rechnung der Ankunftszeit ohne den Windwirt. Ohne Motor würden wir hier noch einige Zeit herumdümpeln. Also motoren wir dann doch. Die ganze Zeit konnten wir segeln, selbst bei acht bis neun Knoten Wind ging es gut voran und jetzt das. Allerdings haben wir es ja noch gut. 100 Seemeilen kann man motoren.

Kurz vorm Landfall: Der Wind verlässt uns leider.

Noch 60 Seemeilen. Mensch, Mensch, wer glaubt es denn? Wir motoren über den Pazifik. Hätten wir auch nie gedacht! Allerdings schläft es sich bei dem Krach gut. Es ist solch ein gleichmäßiges Geräusch. Gut, ich gehe jetzt in die Koje. Vielleicht wacht der Wind mit mir nachher wieder auf.

Noch 40 Seemeilen. Ich werde davon wach, dass Jens und Hanna Wasser schöpfen. Mist, was ist jetzt wieder los? Oh, es sprudelt aus dem Motorraum. Die Motorraumwanne ist voller Salzwasser. Wo kommt das denn her?

Noch 35 Seemeilen. Der Schaden ist behoben, der Fehler gefunden. Jens hat die Wasserfilter beim Watermaker gewechselt und nicht ordentlich verschraubt. Das kann passieren. Nichts ist kaputt. Wir waschen noch „kurz“ alle Konserven ab, da sich das Salzwasser ansonsten durch das Blech fressen würde. Ach, hatte ich es erwähnt? Es ist LAND IN SICHT! Vor uns liegt Hiva Oa. Wir haben es gefunden!

Noch 16 Seemeilen. Wir genießen die letzten Seemeilen bei wunderbarem Segelwetter. Die Wellen sind jetzt etwas höher, da sie von über 4.000 Metern auf flachere Gebiete prallen. Die vor uns liegenden Inseln sehen aus dieser Perspektive kahl aus. Wir sind gespannt, was da kommt.

Noch vier Seemeilen. Es regnet nicht, es schüttet wie aus Eimern. Muss das jetzt sein? Wir pumpen schon mal das Dingi auf – gleich sind wir da. Die Inseln werden grün.

„Kneif mich mal!” – wir sind in der Südsee.

Und dann sind wir da! Nach 3.000 Seemeilen sind wir nach 17 Tagen und vier Stunden mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 7,2 Knoten in Hiva Oa angekommen. Eine Stunde und einen Rostocker Kümmel auf ex später haut es uns fast um. Es ist warm hier, warm und feucht. Kein Klima für uns. Wir sind stolz, hier zu sein, und versuchen, diesen Moment ein wenig festzuhalten, bevor uns die Landhektik wieder einholt. Also köpfen wir noch eine Flasche Le Chiassaie aus dem Kühlschrank, auf der sinngemäß Folgendes steht:

Nicht das, was wir Alltag nennen, füllt unser Leben, sondern das, was uns den Atem raubt und besonders ist.

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