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Michael ist seit über 20 Jahren als Journalist und Fotograf auf dem Wasser tätig. Der studierte Geograf hat weltweit Reisereportagen in mehr als 100 Charter- und Blauwasserrevieren produziert. Zudem haben den Hamburger viele Segelreisen und seine frühere Tätigkeit als Charter- und Überführungsskipper rund um den Globus geführt. Zusammen mit Sönke Roever ist er die treibende Kraft von BLAUWASSER.DE und ein beliebter Referent auf Bootsmessen und diversen Seminaren (siehe Termine).
Die Saison ist kurz, die Natur sensationell
Um fünf Uhr morgens stehen alle Crewmitglieder in Ölzeug an Deck, Countdown zum Ablegen. Eine steife Brise aus Nord fegt über den Schwimmsteg, voraus liegen 55 Seemeilen an der Kreuz. „Kein Problem“, sagt Beggi, unser isländischer Skipper, „zur Not hilft uns die Maschine.“ Ein Crewmitglied macht sich an den Abbau der Kuchenbude, die das Cockpit im Hafen auch bei schlechtem Wetter bewohnbar macht. Beggi, ein Bär von einem Mann, guckt entsetzt: „Nein, nein, die bleibt, die habe ich extra so anfertigen lassen, dass man damit auch segeln kann!“
Andere Länder, andere Sitten. Hinter der Hafenmole schüttet das holprige Meer Tonnen von Seewasser über das stampfende Schiff, im Cockpit allerdings bleibt es windstill und trocken. Mit den Polstern und den weiß-grau-gestreiften Stoffkissen ist es hier gemütlich wie auf Omas Sofa. Segeln mit Kuchenbude kannte bisher niemand an Bord, „dabei ist es sehr angenehm“, findet Judith aus Wien.
Reykjavik, die Hauptstadt von Island, bleibt im schäumenden Kielwasser zurück. In so hohen Breiten war noch keiner der vier Mitsegler unterwegs, der Inselstaat liegt gleich neben Grönland und mit 65 Grad nördlicher Breite ganz dicht am Polarkreis. Bisher wird die Insel nur von ein paar Langfahrtseglern besucht, doch seit ein paar Jahren gibt es auch die Möglichkeit vor Ort zu chartern.
Geysire, Gletscher, Lava-Wüsten
Doch was erwartet einen Chartersegler in Island? Man kann es kurz zusammenfassen: ein Land, in dem die Höchsttemperaturen nicht über 15 Grad steigen und es im Sommer nie dunkel wird. Und das mit seinen Vulkanen in der Lage ist, den gesamten europäischen Flugverkehr lahmzulegen. Bekannt ist es darüber hinaus für heiße Quellen, Geysire, Gletscher, Lava-Wüsten, Höhlen, Wasserfälle und eine unendlich weite und unbesiedelte Landschaft.
Kurze und lange Etappen wechseln sich ab
An Bord der ESJA, einer Bavaria 50, erwartet uns also zunächst stundenlange Stampferei und, obwohl bereits Mitte Juni, kühle Temperaturen um die zehn Grad. „Bei Nordwind wird es kälter“, erklärt Beggi. Und schiebt tröstend hinterher: „Ab morgen, im schönen Breidafjord, werden die Etappen deutlich kürzer.“
Das heutige Ziel heißt Arnarstapi, ein kleiner Fischerort mit einem winzigen Hafen. Der schneeweiße Gletscher des Snæfellsjökull Nationalparks ist schon von Weitem zu erkennen, dann kommt die lavaschwarze Steilküste in Sicht, die senkrecht ins Meer stürzenden kleinen Wasserfälle und die in der Luft torkelnden und kreischenden Küstenseeschwalben. Über das bordeigene WLAN hat Beggi sich die Webcam des Hafens angeschaut, „ganz schön voll, aber wir versuchen es trotzdem.“ Als sechstes Schiff legt er sich an einen halb so großen Fischkutter ins Päckchen, „ist die Fangsaison vorbei, wird es hier besser.“
An der Pier entladen die kleinen Fischerboote riesige Kunststoffbehälter voll mit großen Kabeljaus, auf der mit grünem Plüsch überzogenen kargen Felslandschaft stehen verstreut die zwei Dutzend Häuser der kleinen Siedlung. Dieser Küstenabschnitt ist auch bei Landtouristen ein beliebtes Ziel, kleine Wanderwege säumen die Ufer entlang wilder Felsformationen. Nach den vielen Stunden auf See genießen wir die Bewegung, die Ausblicke und im Windschatten einer Felsnische die wärmenden Sonnenstrahlen.
Namensgeber für den Nationalpark Snæfellsjökull ist ein Troll
Am Ortsrand steht die haushohe Skulptur von Bárdur Snæfellsás, einer Sagenfigur. Es heißt, er sei der erste Siedler der Region gewesen, einer mit Trollblut in seinen Adern. Trolle, Elfen, Gnome und Feen sind fester Bestandteil der Isländischen Kultur, 60 Prozent der Bevölkerung glauben an die Fabelwesen. Das Land hat eine Elfenschule und Elfenexperten, die selbst von öffentlichen Stellen wie dem Bauamt engagiert werden. Nicht selten werden Bauvorhaben geändert, um den Lebensraum der Elfen nicht zu stören, 2013 gab es deswegen sogar einen Baustopp beim Bau einer Autobahn.
Spontan hat Beggi einen Höhlenbesuch organisiert. Thor, der Chef der Höhlentour, bringt uns zu einem Eingang, dann geht es über eine Wendeltreppe 35 Meter tief unter der Erde. Mit Taschenlampen kraxeln wir durch eine stockdunkle und begehbare Lavaröhre, die bei einer Vulkaneruption vor 8.000 Jahren entstanden ist. Am liebsten möchte Thor uns noch zu einer Schneemobiltour auf den Gletschergipfel des fast 1.500 Meter hohen Snæfellsjökull überreden, doch die Crew ist erschöpft. Schon an Tag eins der Segelreise wird klar: Island ist eine Wucht, seine Naturgewalten sind opulent und omnipräsent.
Rückblick: Reykjavik ist das städtische Zentrum der Reise
Gestern, in der Hauptstadt Reykjavik, war der Eindruck provinzieller. Das Zentrum der Stadt, nur wenige Gehminuten vom Hafen entfernt, beschränkt sich auf zwei, drei belebte Straßenzüge. Der Unterschied zu den Einkaufsstraßen heimischer Städte wird erst auf den zweiten Blick deutlich: Die sonst so vertrauten Markenartikel gibt es hier nicht, nicht einmal eine McDonald’s-Filiale. Dafür überall liebevoll und individuell gestaltete kleine Boutiquen, Cafés, Buchläden und Galerien, sogar der bisweilen originelle Kleidungsstil der Einheimischen fällt auf. Ganz im Gegensatz zu dem der Touristen, die fast alle mit einem uniformen Outfit aus Wanderstiefeln, Mehrzweckhose und Windjacke unterwegs sind.
Wer in der Hauptstadt die Einkaufsstraße Skólavördustigor entlangläuft, endet zwangsläufig an der gewaltigen Hallgrimaskrkja, einem monumentalen Kirchenbau, der zugleich eine der Top-Attraktionen Reykjaviks ist. Eine andere: die Harpa Concert Hall, das 2011 eröffnete Konzerthaus am Hafen, das wie die Elbphilharmonie in Hamburg als neues Wahrzeichen der Stadt gilt.
Genau davor liegt ein Schwimmsteg mit zwei Dutzend Yachten, hier ist auch die kleine Charterbasis. „Das sind bereits die Hälfte aller Yachten in Island“, hatte Beggi erzählt und dabei den Blick über den Hafen wandern lassen, „Segeln ist bei uns nicht sehr verbreitet.“ Woran das liegt? Vermutlich am Wetter, der kurzen Saison und den wenigen Bewohnern. Mit 340.000 Einwohnern ist Island das am dünnsten besiedelte Land Europas.
Der Golfstrom sorgt für milde Temperaturen
Immerhin sorgt der Golfstrom auch hier für ein relativ mildes Klima, selbst im Winter liegen die Temperaturen nur um den Gefrierpunkt, See-Eis gibt es hier keins. Nur hin und wieder treibt mal eine Eisscholle aus Grönland herüber, in regelmäßigen Abständen sitzt ein ausgehungerter Eisbär drauf. Leider helfen dem Polarbären dann weder die überlebte Drift noch das rettende Ufer, „aus Sicherheitsgründen werden die Tiere bei uns abgeschossen“, erzählt Beggi.
Wer Island auf einer einwöchigen Charterreise mit dem Boot erkunden möchte, dem empfiehlt der vielfache Familienvater, der auch Pflegekinder bei sich im Haus hat, den großen Breidafjord. „Hier gibt es auf kurzen Etappen mehrere Orte mit Häfen, dazu viele Inseln und gute Ankerplätze.“ Wer mehr Zeit mitbringt, kann auch weiter in den Nordwesten zu den Westfjorden segeln, „im letzten Jahr ist eine deutsche Crew in drei Wochen sogar rund Island gesegelt.“
Orcas und Kabeljau im Breidafjord
Am nächsten Tag verlangsamt Beggi die Fahrt vor der Einfahrt in den Breidafjord, „hier ist ein guter Platz zum Wale beobachten.“ Der Wind ist eingeschlafen, die Sonne wärmt, unter Maschine dümpelt ESJA auf Kurslinie. Beggi holt das Fernglas und kneift die Augen zusammen, plötzlich durchbrechen schwarze Schwanzflossen die ruhige See. „Das sind Orcas“, weiß der Isländer sofort, für ihn sind die schwarz-weiß gefleckten Wale kein Grund zur Aufregung.
Genauso wenig wie das Angelerlebnis an einem der nächsten Tage. „Lasst den Köder einfach bis zum Grund absinken und holt ihn dann einen halben Meter wieder hoch“, lautet Beggis Anweisung, nachdem er das Schiff auf der 20-Meter-Linie aufgestoppt hat. Als nach weniger als einer Minute kein Fisch an der Angel ist, bläst er zum Aufbruch, beim dritten Stopp ist es dann soweit: Der Köder hat den Grund noch nicht erreicht, schon ist Zug auf der Leine. Ein großer Kabeljau, bestimmt zwei Kilogramm schwer, zappelt kurz darauf im Cockpit. Dann geht es Schlag auf Schlag. Im Minutentakt landen die silbergrünen Speisefische im Boot. Jeder darf mal, Judith fängt den ersten Fisch ihres Lebens, „den musst du küssen“, sagt Beggi, „sonst fängst du nie wieder einen.“
Aufregung verspricht bisweilen auch die Navigation im Revier. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass zum Teil ganze Fjordabschnitte nicht kartiert sind, an anderen Stellen verhindert ein Meer aus Inseln, Felsen und Unterwasserhindernissen die Weiterfahrt. Wirklich gefährlich ist die Ansteuerung der Insel Flatley mitten im Breidafjord. Ganz dicht an Backbord taucht plötzlich ein Felsen aus dem Wasser, der nirgends eingezeichnet ist.
Auf der Insel Flatley nisten die Seevögel
Flatley ist ein Muss, Skandinavien-Idylle pur, Bullerbü auf Isländisch. Zwei Dutzend frisch gestrichene Sommerhäuser liegen wie bunte Tupfer auf der mit grünem Gras überzogenen Insel. Einen Steinwurf vom Nordufer entfernt liegt der von einer Miniinsel rundum geschützte Ankerplatz, in der Umgebung ein Meer aus Felsen und Inselchen. In der Luft kreisen unzählige Seevögel, ihre Nester an Land sind jetzt im Juni voll mit Vogeleiern oder bereits geschlüpften Küken.
Im Sommer kommt hier jeden Tag die Fähre an und bringt Urlauber und Tagesgäste, im Winter gibt es nur fünf Bewohner. Ein Inselhotel versorgt die Besucher, wir bestellen ein kleines Bier, der stolze Preis: zehn Euro. Nicht nur Alkohol ist in Island extrem teuer, auch im Supermarkt muss mit bis zu 50 Prozent höheren Preisen gerechnet werden. In Restaurants ist es ähnlich, auch Eintrittspreise sind teuer, einmal Schwimmen in der bekannten Blauen Lagune kostet ab 62 Euro. Nur Hafengebühren werden nirgends fällig, auf Besucheryachten ist hier niemand eingestellt.
Die Golden Circle Tour verbindet die Topattraktionen des Landes
Wer vor oder nach dem Törn einen Landausflug auf der sogenannten Golden Circle Tour unternimmt, trifft, ganz anders als auf dem Wasser, auf große Touristenströme. Egal ob bei den spuckenden Geysiren, dem gigantischen Wasserfall Gullfoss oder der Grabenbruchzone Pingvellir mit ihren vielen Schluchten: Überall erwartet einen eine Kolonne aus Reisebussen und Mietwagen, die auf riesigen Parkplätzen mit großen Schnellrestaurants, Shops und Souvenirläden Touristen aus aller Welt entladen.
Die Naturwunder selbst bleiben dabei sehenswert, genauso wie die Landschaft dazwischen, die alles, nur keine Bäume hat. Unendliche schwarze Lavawüsten wie auf Lanzarote wechseln sich mit schroffen Fjordlandschaften wie in Norwegen ab. Dazwischen gibt es lieblich geschwungene und fruchtbare Hügellandschaften wie in Schottland, auf der neben Schafsherden die in aller Welt bekannten Islandponys grasen.
Selbst der Miniort Olafsvik hat ein Schwimmbad
Zurück an Bord, zurück im Breidafjord. Olafsvik ist ein typisches Isländisches Dorf, mit einem Hafen, der ganz der Fischerei dient. Überall Fischkutter, Lagerhallen, Kühlhäuser und Verladeeinrichtungen, dahinter prägen einfache und skandinavisch anmutende Einfamilienhäuser den 1.000-Seelen-Ort. Es gibt eine Tankstelle, einen Supermarkt, ein Hotel, zwei Restaurants und, ganz wichtig, ein Schwimmbad. „Das gehört zu unserer Kultur, in fast jedem isländischen Dorf gibt es ein Schwimmbad“, sagt Beggi.
Kurz vor Ende des Törns bäumt sich der bisweilen schwache Wind noch einmal auf. Mit fast 30 Knoten Wind von achtern brettern wir Richtung Stykkisholmmur. Vier Seemeilen nordnordwestlich davon liegt die wie ein Vulkankrater geformte Insel Ellioaey. „Da legen wir noch einen Stopp ein“, sagt Beggi und manövriert die Yacht in die rundum geschützte Ankerbucht. Rundherum nur wilde, schroffe Natur und ein halb verfallenes Farmhaus. Und Tausende Vögel natürlich.
Zum Törnende noch einmal Abwechslung in Stykkisholmmur
Stykkisholmmur ist dagegen ein lebendiger kleiner Fischerei- und Fährhafen, in dem auch kleine Kreuzfahrtschiffe festmachen. Das Hafenambiente lockt mit ein paar farbig lackierten Holzhausfassaden, mit einer Imbissbude, Restaurants, Hotels und ein paar Geschäften. Landtouristen kommen und gehen, Kreuzfahrer schlendern durch den Hafen, der gemütliche Ort bietet nach der Abgeschiedenheit der letzten Tage willkommene Abwechslung.
Neben ESJA liegt noch eine weitere Yacht im Hafen, „ein Dauerlieger, der nie rausfährt“, weiß Beggi. Ansonsten ist uns in der ganzen Woche keine andere Yacht begegnet. Erst später in der Saison werden vermutlich noch ein paar Langfahrtsegler eintrudeln. Segler, die alle sehr viel Mühe, Zeit und Geld investiert haben, um einmal im Leben im hohen Norden zu segeln. Jetzt, mit dem kleinen Charterangebot vor Ort, ist Island plötzlich für jeden ambitionierten Urlaubssegler eine Option. Eine einmalig aufregende dazu.
Weitere Infos zum Revier
Navigation
Bei etwa drei Meter Tidenhub muss an engen Durchfahrten oder Fjorden und an Kaps mit Strömungen gerechnet werden, die zu Springzeiten in Extremfällen fünf bis sieben Knoten erreichen, abseits der Küsten aber kaum mehr als ein bis zwei Knoten betragen. Es gibt Leuchtfeuer, Richtfeuer und befeuerte Hafeneinfahrten, nur vereinzelt sind auch Seezeichen ausgebracht. Einige der abseitigen Fjorde sind zum Teil nicht kartiert.
Häfen und Ankerplätze
Außer Reykjavik sind die meisten Häfen Fischerei- und Fährhäfen mit wenig Infrastruktur für Yachten. Gäste aber sind willkommen, über UKW kann man sich einen geeigneten Platz zuweisen lassen. Strom und Wasser sind in der Regel vorhanden, auch Tankstellen gibt es ausreichend. Hafengebühren werden nur vereinzelt erhoben.
Wind und Wetter
In der Saison zwischen Mai und September herrschen Temperaturen zwischen 10 und 15 Grad. An durchschnittlich jedem dritten Tag muss auch mit Niederschlag gerechnet werden. Im Sommer sind die Windbedingungen moderat und wechselhaft, wobei Ostwinde überwiegen. Mit Nebel muss insbesondere an der Ostküste gerechnet werden. Vereinzelt gibt es entlang der Nordküste im Sommer Drifteis aus Grönland.
Literatur & Seekarten
• Der Kartenatlas Strandsiglingakort umfasst 19 Karten (1:100.000) und deckt ganz Island ab.
• Für den Törn bis in den Breidafjord reichen drei Isländische amtliche Seekarten: IS 42 (1:160.000), IS 36 und IS 37 (beide 1:100.000).
• Handbuch: Andrew Wilkes, Arctic and Nothern Waters, Verlag Imray.
Charter
Wer nicht mit dem eigenen Boot anreist, kann seit ein paar Jahren auch direkt vor Ort chartern. Der kleine Stützpunkt liegt direkt im Zentrum von Reykjavik an der Harpa Concert Hall. Vom Flughafen Reykjavik aus geht es mit dem Bus in die Stadt und weiter bis zur Station Harpa Concert Hall direkt am Hafen (etwa eine Stunde, 22 Euro, www.grayline.is).
Diese Charter-Agenturen helfen dir, eine Yacht zu finden
Für eine deutschsprachige Beratung und Buchung der wenigen Charteryachten in Island können auch diese Agenturen behilflich sein: