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Gerald Penzl ist seit über 30 Jahren als freier Journalist und Fotograf zu Lande, zu Wasser und in der Luft unterwegs. Zu den Abnehmern seiner Reportagen zählen Reisejournale, Buchverlage, renommierte Tages- und Wochenzeitungen sowie Yacht- und Bootmagazine. Seine erste Segelsporen verdiente sich der promovierte Naturwissenschaftler Mitte der 1980ger auf den Maasplassen bei Roermond.
Titelfoto: ©Gerald Penzl
Ein Törn zwischen Sligo und Galway – 200 Seemeilen entlang der zerklüfteten Westküste Irlands
Grau und stumm ragt der Ben Bulben in den regenschwarzen Himmel. Am Fuße des mächtigen Tafelbergs liegt das Dörfchen Drumcliff. Kein Chronist hätte über die Handvoll Häuslein auch nur eine Zeile verloren, läge dort nicht William Butler Yeats – Irlands erster Literaturnobelpreisträger – begraben. Einen Muschelwurf von seiner letzten Ruhestätte entfernt rollt der Atlantik gegen die wild zerklüftete Küste. 1865, im Geburtsjahr des Dichters, hatten seine Großeltern im nahen Städtchen Sligo eine Dampfschiff-Reederei ins Leben gerufen. Wann immer der junge William konnte, ging er an Bord und ließ sich von der Magie der See und den Farben des Lichts in die Welt der Fantasie entführen.
„Siehst du den Kerl dort auf dem Podest?“, fragt mich Dave in irisch gefärbtem Englisch. Und deutet auf die Mündung des River Garavogue in den Atlantik. Ich nicke. „Okay“, schmunzelt er, „das ist der Metal Man. Ein 200 Jahre altes Leuchtfeuer in Matrosengestalt.“
Zehn Minuten später legen wir vom Pier der RNLI-Seenotstation in Rosses Point ab. Die skurrile, rot-weiß-blau lackierte Gusseisen-Figur verabschiedet sich hinterm Heck. Das Geschrei der Möwen, die der auflandige Wind über die Dünen und Klippen des malerischen Seebad-Örtchens trägt, verstummt.
Voraus liegen rund 200 Seemeilen, unser Törn soll uns von der Mündung des River Garavogue über die Broadhaven Bay, die Inseln Iniskea-South, Claire Island sowie Inishmore zu den Cliffs of Moher und von dort via Insel Inisheer zur Hafen- und Hochschulstadt Galway führen. Zusammen umsegeln wir also die beiden Countys Mayo und Galway und damit den gesamten Mittelteil der Westküste Irlands.
Dave geht auf Kurs 260°, wirft einen Blick auf den Verklicker, grinst und lässt Segel setzen. Im Handumdrehen sind das Groß aus dem Baumkleid und die Fock von der Rolle. „Superzeit“, schießt es mir durch den Kopf, „die Crew ist top.“ Dave sieht das anders. Der gestandene Blauwassersegler und Yachtmaster-Coach hätte die Garanten des Vortriebs, na sagen wir, gerne in der Hälfte der Zeit in Arbeitsposition. „No one is born a master“, grummelt er. Was übersetzt so viel wie „Okay, Jungs, ihr seid noch kein eingespieltes Team, aber wir haben ja noch etliche Seemeilen vor uns“ heißen dürfte …
Neptun zeigt sich von seiner friedlichen Seite. Bei drei Beaufort und raumem Wind hat Dave den Spinnaker gesetzt und die LYNK – eine Harley Race Reflex 38 – dem Autopiloten anvertraut. Wir haben es uns in der Plicht bequem gemacht. Bei Kaffee und irischem Apple Pie (Apfelkuchen) präsentiert sich die Küste als Wechselspiel aus schroffen Klippen, stillen Buchten und leuchtenden Stränden.
Vorbei an Irlands wilder Felsküste bis nach Broadhaven Bay
„Beewee Head“, deutet Dave nach fünf Stunden Genusssegeln auf eine bizarre Felsformation. Damit ist es um den kommoden Raumschotkurs geschehen. Der bauchige Vorsegel-Turbo verschwindet im Bergeschlauch. Dave übernimmt das Ruder und setzt Kurs auf den schneeweißen Leuchtturm am nördlichsten Zipfel der Broadhaven Bay.
Nach einer halben Seemeile schaltet die Landschaft von Moll auf Dur, weichen die düsteren Felspanoramen saftig grünen Schafweiden. Die ersten Muring-Bojen rücken ins Bild. Ich mache die LYNX an einer der schwimmenden Parkhilfen fest, lege – Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste – von der gegenüberliegenden Bugklampe eine zweite Leine und melde mich dann eine Etage tiefer zum Küchendienst. Während auf dem Gasherd ein Lammeintopf köchelt, brennt die untergehende Sonne ein Farbenspiel der Extraklasse ab. „Dinner on deck?“, fragt Dave. Was für eine Frage! Bei der Kulisse ist das wohl mehr als selbstverständlich!
Die Insel Inishkea South ist schmal wie eine Atlantiksprosse
Unglaublich, wie gut man auf einer knapp 50 Zentimeter breiten Salonkoje schlafen kann, ich höre am nächsten Morgen weder den Wecker noch das Pfeifen des Wasserkessels auf dem Herd. „Wake up, guy“, rüttelt mich Dave schließlich wach. Und drückt mir eine Tasse frisch gebrühten Kaffee in die Hand. „Die anderen sind schon längst auf den Beinen.“ Okay, noch schnell eine Katzenwäsche, ein Müsli, einen zweiten Kaffee und schon heißt es Leinen los, Segel rauf und bei Laune machendem Wind Kurs Inishkea Inseln.
Hinter Eagle Island schaltet das Himmelsgebläse einen Gang höher. Wir schrammen die zehn Knoten-Marke. Ein paar Delphine surfen munter in unserer Bugwelle mit. Kurz nach 13 Uhr kommt Inishkea South in Sicht. Dave steuert die türkisfarbene Bucht im Osten der drei Kilometer großen Atlantiksprosse an, fährt ein Ankermanöver, pumpt das Schlauchboot auf, montiert einen 2,5 PS-Quirl an den Spiegel und tuckert mit uns los.
Außer Dünen, blütenweißem Sand und einem Leuchtturm geben sich nur Schafe, Seevögel und Robben die Ehre. „Warum wohnt hier keiner mehr?“, deute ich auf eine Handvoll windzerzauster Hausruinen. „Zu viele Stürme“, antwortet Dave, „vor 100 Jahren lebten hier rund 350 Menschen. 1927 riss ein einziger Orkan zehn von ihnen in den Tod. Ein paar Jahre später hatten selbst die Hartgesottensten die Nase von den Katastrophen voll. Und sind zurück aufs Festland.“
Things happen – zehn Seemeilen weiter südlich geht in Höhe der Insel Achill Island ein Ruck durchs Boot, die LYNX dreht in den Wind, der Spi fällt wie ein Kartenhaus zusammen und … landet im Wasser. Mit einem beherzten Manöver rettet Dave das Tuch vor einem (teuren) Kontakt mit dem Saildrive-Propeller. Der Übeltäter selbst ist ein schwarzer (!) Plastikkanister, den – wie sollte es anders sein – ein Fischer als Schwimmhilfe für sein Stellnetz zweckentfremdet hat. Wie es der Zufall will, verheddert sich das Ding in der Schleppleine unseres Dingis. Dave schaut sich das Gewusel an, greift zum Messer und säbelt es kurz entschlossen auseinander.
Pubs und Guinness in Capnagower auf Claire Island
21.00 Uhr: Wir haben Claire Island erreicht, liegen an einer Muring-Boje mitten in der Hafenbucht von Capnagower und machen das Schlauchboot klar. Achteraus, drei Seemeilen entfernt am Festland, reckt sich Irlands mythenumrankter Croagh Patrick als perfekt geformter, 764 m hoher Kegelberg in den Sternenhimmel.
Einen Muschelwurf querab umsorgt die Sailor's Bar die durstigen Kehlen ihrer Namensgeber. Auf der Terrasse hat sich die Crew einer Bénéteau 46 versammelt. Die Jungs – Kerle, wie aus dem maritimen Kino-Epos „Master and Commander“ – begrüßen uns mit großem Hallo. Woher wir kommen, wohin wir wollen, mit welchem Boot wir unterwegs wären. Die Stimmung steigt, der Guinness-Konsum auch, die Geschichten werden abenteuerlicher und der Wahrheitsgehalt proportional zur Menge des irischen Kultgetränks immer kleiner. Aber hey, was soll's: We are in Ireland, das Leben ist schön und der Atlantik rau und wild.
Punkt 23.30 Uhr legt der Wirt Sinead O'Connor's Lied „Oro Se do Bheatha Bhaile“ auf. Mit den ersten Klängen dieser Traditionsballade stehen die Gäste auf, erheben ihr (Guinness-)Glas und singen die Hymne auf ihre Nationalheldin Grace O’Malley lautstark mit. Diese hatte hier 1539 das Licht der Welt erblickt und in ihrem späteren Berufsleben als Piratin und Schiffeversenkerin den Sea Lords der englischen Krone so manch schlaflose Nacht beschert.
Irland und der Regen: In wohl keinem Land der Erde ist das Nass von oben so nuancenreich wie auf der Grünen Insel. Zu den harmlosesten Vertretern zählt der „Irish Mist“, ein feiner, leicht nebliger Sprühregen, der wie Seide die Haut streichelt. Also kein Problem, solange, ja, solange man nicht – wie wir jetzt – durch das quadratmeilengroße Felsriffgewusel vor der Südwestküste von Connemara schippert.
Auch das nächste Ziel ist eine Insel: Inishmore
Claire Island liegt 25 Seemeilen hinter, unser Tagesziel, der Hafen von Kilronan auf Inishmore, rund 35 Seemeilen vor uns. Es ist 17.00 Uhr, die Tide kippt, sprich: Die Gezeitenströmung legt sich für ein knappes Stündchen aufs Ohr. Das Tuch ist eingeholt, für den Vortrieb sorgen 36 niedertourig trabende Yanmar-Pferde. Vor, neben und hinter uns sieht es aus, als hätte der Himmel Steine regnen lassen. Ich sitze am Navi-Tisch und konzentriere mich auf das Display des vorausschauenden Echolots. Laut Hersteller erfasst das Gerät die Unterwasser-Topographie bis zu 90 Meter vor und unter dem Bug der LYNX. Aber ob die Technik in diesem Minenfeld aus Tiefen und Untiefen auch zuverlässig funktioniert? Dave bleibt cool. Er kennt das Revier wie seine Westentasche, steht am Bug und gibt zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Ruderkommandos.
Natürlich hätten wir Connemara und damit Slyne Head mit seinem rabenschwarzen Lighthouse auch weit umfahren können, aber erstens wächst man ja bekanntlich mit der Aufgabe und zweitens hätte uns der Schlenker nach Westen ordentlich Zeit gekostet. So rollt uns das Seefeuer von Straw Island Punkt 22.30 Uhr den roten – oder besser gesagt: weißen – (Blitz-)Teppich in den Hafen von Kilronan aus.
Dave lässt Fender setzen, dreht ein, zwei Runden in dem Niedrigwasser des Hafenbeckens und entscheidet sich dann für ein „not ideal“ Anlegemanöver. Was er darunter versteht? Ganz einfach: Er legt sich als Dritter an zwei bereits im Päckchen liegende Fischkutter, vertäut die LYNX, klettert auf das Steuerhaus des Kailiegers, springt von dort auf den Kai und winkt uns nachzukommen. Das klingt halsbrecherisch. Ist es aber nicht. Und wird wenig später mit einem Ankerbier in der betagten Hafenkneipe Tigh Joe Mac Bar belohnt.
Das Highlight auf der Insel Inishmore ist das mythenumrankte Fort Dún Aonghasa
Mit 14 Kilometer Länge ist Inishmore die größte der drei Aran-Inseln. Nach dem Frühstück – dank Hochwasser entfällt die Kletterpartie – werfe ich einen Blick auf das geschäftige 250-Seelen-Örtchen Kilronan, miete mir ein Bike und gehe auf Inseltour. Blütenweiße Strände, horizontlose Trockenmauern, Schafe und Klosterruinen säumen den Weg.
Absolutes Highlight ist das mythenumrankte Fort Dún Aonghasa. Viel weiß die Wissenschaft über diese bis zu 5,20 Meter breite, über sechs Meter hohe und geschätzt 3.000 Jahre alte Ringfestung nicht. War sie eine Kultstätte der Fruchtbarkeitsgöttin Tailtiu? Diente sie dem legendären König von Cashel als Sommerresidenz? So schaurig schön der Blick vom Fort aus über den Rand der Klippen auf den 90 Meter tiefer wogenden Atlantik ist, so genial wird der nächste Tag.
Wir fegen mit fünf Beaufort im Rücken auf die Cliffs of Moher, Irlands ultimatives, rund 200 Meter hohes Steilklippen-Spektakel, zu, segeln zwei Ehrenhalsen vor dem UNESCO-Welterbe, steuern mit Kurs Nordnordwest die Insel Inisheer an, übernachten im Fährhafen der kleinsten Aran-Insel und legen nach ausgiebigem Frühstück und steigendem Wasser Richtung Festland ab.
Irlands Westküste: Full of magic things
Nach rund 20 Seemeilen ist die umtriebige Hafen- und Hochschulstadt Galway erreicht. Dave proviantiert die LYNX für die Weiterfahrt nach Frankreich. Ich, ja, ich sitze am späten Nachmittag im Bus zum Airport nach Dublin. Bleibt die Erkenntnis, dass Irlands Westküste nicht nur ein anspruchsvolles Revier mit traumhaft schönen Passagen, sondern auch – um es mit William Butler Yeats Worten zu sagen – „full of magic things“ ist.
Gut zu wissen – weitere Revierinfos
Allgemein
Die Website eOceanic ist ein enorm hilfreiches Tool für jeden, der mit der Yacht in Irland (und auch England!) unterwegs ist. Zu fast jedem Hafen und Ankerplatz gibt es hier eine ausführliche und sehr übersichtliche Beschreibung, inklusive aktuellen Tiden- und Strömungstabellen. Dazu werden für die jeweiligen Routenabschnitte sehr viele nautische Informationen bereitgestellt.
Marinas kosten für eine 13 Meter Yacht etwa 40 Euro/Nacht, Mooringbojen sind in der Regel gratis. Mehr allgemeine Infos zu Irland finden sich auf der Website des irischen Fremdenverkehrsamts.
Charter
Die Angebote des irischen Unternehmens Wild West Sailing umfassen mehrtägige Fun- und Trainingstörns, Ausbildungstörns, komplette Irland-Umrundungen oder auch Bareboat-Charter.
Literatur & Seekarten
- South & West Coast of Ireland, Sailing Directions (Hafenführer), Irish Cruising Club Publications
- Cruising Ireland (Hintergrundinformationen), Irish Cruising Club Publications
Diese Charter-Agenturen helfen dir eine Yacht zu finden
Für eine deutschsprachige Beratung und die zuverlässige Buchung von Charteryachten bewährter Anbieter rund um Irland können diese Firmen behilflich sein:
Sehr schöner und informativer Bericht über die Westküste Irlands. Vielen Dank!
Wir haben 2019 bei unserem Törn ähnliche Erfahrungen gemacht und waren ganz begeistert: https://segel-kompetenz.de/2019/08/02/die-westkueste-irlands-mit-der-segelyacht-entdecken/