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Jürgen Bode beschloss mit Mitte vierzig, vom Skifahren auf das Segeln umzusatteln. An Bord einer Charterjacht mit Freunden und Familie begeistert ihn die Mischung aus Natur, Technik, Kulinarik, Physik und Psychologie. Das Revier in und um Friesland zählt für ihn zu den abwechslungsreichsten Gegenden der Welt: anspruchsvolle Navigation im Wattenmeer, kurze Schläge im IJsselmeer, beschauliche Landschaften entlang der friesischen Binnenwasserstraßen.
Die App QuickTide im Überblick
Die Tiden im niederländischen Wattenmeer machen den Reiz dieses Reviers aus, doch schreckt der Aufwand der Gezeitenberechnung viele Skipper ab. Die Berechnung der Gezeiten ist jedoch unverzichtbar, um zu ermitteln, wann ein Fahrwasser passiert werden kann oder in welchem Zeitfenster das Trockenfallen mit einem geeigneten Schiff möglich ist.
Die herkömmliche Methode der Gezeitenberechnung erfordert die Berücksichtigung zahlreicher Daten aus unterschiedlichen Quellen, die manuelle Ermittlung wesentlicher Parameter und die händische Erstellung von Tabellen und Grafiken. Weicht auf dem Törn die Realität von der Planung ab, beispielsweise weil die Fahrtgeschwindigkeit geringer ist als geplant, muss neu gerechnet werden.
Mit der App QuickTide reduziert sich der Planungsaufwand enorm. Nach Eingabe der Bootsdaten und des geplanten Fahrtdatums ermittelt die App nicht nur die minutengenaue Höhe der Gezeit, sondern gibt unter Berücksichtigung des Tiefgangs des Schiffes an, in welchem Zeitfenster ein Fahrwasser oder ein Wattenhoch passiert werden kann. Gleichzeitig wird angegeben, zu welchen Zeiten ein Trockenfallen möglich ist. Dabei berücksichtigt die App nicht nur die Tide aufgrund der astronomischen Bedingungen, sondern auch die Abweichung von der astronomischen Tide aufgrund der Wetterlage (Luftdruck und Wind). Auch die Zeiten für Brückendurchfahrten in Gezeitengewässern werden berechnet, wenn zuvor die Höhe des Masttopps über Wasser eingegeben wurde.
Die App ist nicht mit dem gleichnamigen Instrument zur Tidenberechnung für das Küstengebiet der britischen Inseln zu verwechseln. QuickTide deckt vor allem das niederländische Wattenmeer ab, enthält jedoch auch Informationen für das angrenzende deutsche Wattenmeer und die belgischen Gewässer. Die App QuickTide ist in niederländischer, deutscher und englischer Sprache erhältlich und lässt sich auf dem PC (Windows) sowie Mobilgeräten (Android und iOS) installieren. Die Abbildungen in diesem Beitrag beziehen sich auf die Darstellung in einem Android-Mobilgerät.
Einstellungen in der App QuickTide
Über den Aufruf des Menüs können verschiedene Voreinstellungen vorgenommen werden. Unter „Bootseinstellungen“ der Tiefgang der Yacht mit der gewünschten Kielfreiheit, also der Mindestabstand, der zur Sicherheit zwischen Kiel und Meeresboden nicht unterschritten werden soll, und die Masthöhe über Wasser mit der gewünschten Mastfreiheit. Unter „Einstellungen“ können der Referenzwert für das Seekartennull („Wasserpegel“, Lowest Astronomical Tide LAT oder Normaal Amsterdams Peil NAP), die Sprache und verschiedene weitere Anzeigeoptionen gewählt werden.
Tipp: Unter „Einstellungen“ unbedingt bei Anzeige „Erwartete Wasserpegel“ einen Haken setzen. Dies berücksichtigt die aktuellen meteorologischen Einflüsse auf die Tide und ist genauer als die astronomische Tide.
Planen der Durchfahrt in der App QuickTide
Orte wählen
Nach den Grundeinstellungen ist die App bereit, für viele Orte des Gezeitenreviers die entsprechenden Informationen zu liefern. Bei Auswahl von „Orte wählen“ öffnet sich eine Karte, in der alle Orte markiert sind, für die Gezeiteninformationen vorliegen. Orte, für die amtliche Daten genutzt werden (primäre Gezeitenorte), sind mit einem roten Quadrat markiert. Ein blauer Punkt bezeichnet Orte, für die die Gezeitendaten abgeleitet werden.
Statt über die Karte können Orte auch mit ihrem Namen gefunden werden. Die Registerkarte „Nähest“ zeigt die nächstgelegenen Orte an, „Alles“ enthält die komplette Liste aller Orte, und mit der Funktion „Favoriten“ kann selbst bestimmt werden, welche Auswahl an Orten angezeigt werden soll.
Aus dem vorherigen Bild wird deutlich, dass die App zwischen Orten, Fahrwegen/Untiefen und Brücken unterscheidet. Bei den Fahrwegen (eigentlich: Fahrwassern) werden jeweils die Gezeiteninformationen des Ortes der geringsten Tiefe verwendet.
Klickt man in der Kartenansicht auf einen Gezeitenort, erscheint ein Fenster mit dem Namen des Ortes, der geloteten Kartentiefe und die Ableitung der Gezeiteninformation vom primären Gezeitenort. Bei primären Gezeitenorten wird der aktuelle Wasserstand angezeigt.
Gezeiten am gewählten Ort
Wird ein Gezeitenort gewählt, öffnet sich das wichtigste Fenster von QuickTide. In der Registerkarte „Gezeiten“ wird der Wasserstand über die Zeit grafisch dargestellt. Die blaue Linie spiegelt den astronomischen Wasserstand wider, in der roten Linie ist er korrigiert um die meteorologischen Einflussfaktoren. Letztere gibt die Wirklichkeit genauer wieder und sollte daher für die Planung genutzt werden. Sie ist jedoch nicht für alle Orte und nur für wenige Tage im Voraus verfügbar.
Die genauen Zeiten von Hoch- und Niedrigwasser sind in der Grafik als Text eingeblendet. Sie werden zusätzlich in der Tabelle unter der Grafik aufgeführt, zusammen mit den jeweiligen Wasserständen. Die horizontale Linie „Wasserpegel“ lässt sich nach oben und unten verschieben. Damit ist es möglich, für einen bestimmten frei gewählten Wasserstand die Zeiten zu ermitteln, an denen die Höhe der Gezeit über oder unter diesem Wert liegt.
Zeitplanung der Passage
Die meisten wird die Registerkarte „Passage“ interessieren. Schauen wir beispielsweise auf das Fahrwasser Vlielanderbalg, das mit einer Yacht mit einem Tiefgang von neunzig Zentimetern und einer voreingestellten Kielfreiheit von fünfzig Zentimetern passiert werden soll.
Im Beispiel ist eine Passage nur in den Zeitfenstern 09:41 bis 11:30 Uhr und 21:18 bis 00:10 Uhr möglich. Der Grund ist sofort auf der Grafik zu erkennen: Die untiefste Stelle im Fahrwasser besitzt eine Kartentiefe von 78 Zentimeter trockenfallend, also 78 Zentimeter über Seekartennull (in der Grafik als „Boden SKN+78“ bezeichnet). Tiefgang plus Kielfreiheit in unserem Beispiel erfordern mindestens 140 Zentimetern Wasser über Grund, was einem Wasserstand von Seekartennull plus 218 Zentimeter entspricht (in der Grafik als „Wasserpegel zur Passage-Zeit SKN+218“ markiert). Auch der Zeitpunkt des Hochwassers und die Kielfreiheit bei Hochwasser werden angegeben.
Achtung: Für Verwirrung könnte die Vorzeichenregelung von QuickTide sorgen. Eine Kartentiefe von 78 Zentimeter trockenfallend wird in gängigen Seekarten mit negativem Vorzeichen versehen, in der App wird jedoch ein positives Vorzeichen verwendet.
Details
Der Seeboden im Wattenmeer unterliegt ständigen Veränderungen. Insbesondere nach stürmischem Wetter kann die Wassertiefe von den Werten in der App abweichen. Von daher sollte in den Bootseinstellungen eine ausreichende Mindestkielfreiheit eingetragen werden, um einen Sicherheitspuffer zu haben. Die Registerkarte „Details“ zeigt detaillierte Angaben für das Fahrwasser Vlielanderbalg.
Unter „Ortsinformation“ ist der Ort des Wattenhochs, also der untiefsten Stelle, entscheidend. Er befindet sich zwischen den Tonnen VB-14 und VB-16. Auf diesen Ort bezieht sich die Gezeitengrafik. Die Wassertiefeninformation nennt den zuletzt geloteten Wasserstand an diesem Ort, das Datum der Lotung und die Quelle, hier die Rijkswaterstraat RWS. In der Regel finden Lotungen im niederländischen Wattenmeer einmal jährlich vor Beginn der Saison statt.
Bei abgeleiteten (sekundären) Gezeitenorten werden Hintergrundinformationen unter „Details zu Ableitung“ gegeben. Mit „Abweichung höher/niedriger“ ist die Abweichung von der astronomischen Gezeit durch meteorologische Einflüsse gemeint.
Trockenfallen mit der App QuickTide
Skipper, die mit Schiffen unterwegs sind, die trockenfallen können, wie beispielsweise Plattbodenschiffe und Kimmkieler, werden sich für die Registerkarte „fest/frei“ interessieren. Dort sind Angaben zum „Trockenfallen“ zu finden.
Der grüne Balken „fest“ zeigt in diesem Beispiel, dass die Yacht um 11:43 Uhr auf Grund laufen würde. Das Wasser läuft weiter ab, sodass die Yacht ab 13:57 Uhr trocken liegt (gelber Balken „trocken“). Um 19:01 Uhr hat das auflaufende Wasser wieder die Yacht erreicht (grüner Balken „fest“), und um 21:26 Uhr würde sie wieder freikommen. Diese Zeiten gelten nur dann, wenn an einem Ort festgelaufen wird, der eine Tiefe von plus 126 Zentimeter über Seekartennull aufweist (gelber Bereich „Boden SKN+126“; gemäß Vorzeichenregelung wäre ein solcher Ort in der Seekarte mit „-126 cm“ gekennzeichnet). Mit einem Tiefgang von 90 Zentimeter laufen wir bei einem Wasserstand über Seekartennull von 126 Zentimeter auf Grund. QuickTide erlaubt nun die Einstellung verschiedener Parameter, um das Trockenfallen zu planen.
Zeitpunkt des Fest- und Loskommens
Oft wird die Crew Vorstellungen über den frühest- oder spätestmöglichen Zeitpunkt des Fest- oder Loskommens haben. Beispielsweise weil im Laufe des Tages noch ein weiteres Wattfahrwasser in engen Zeitgrenzen passiert werden muss. Mit Verschieben der horizontalen blauen Linie „Wasserpegel beim Festlaufen“ nach oben oder unten verändern sich diese Zeiten in der Grafik.
Zeitplanung nach dem Festkommen
Das Schiff ist zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelaufen. Nun lässt sich der vertikale hellgrüne Markierungspfeil über der Zeitachse auf diesen Zeitpunkt verschieben. Die App berechnet dann die Zeiten für das Trockenfallen und Freikommen. Alternativ lässt sich die Zeit auch unter der Grafik in „Zeitpunkt trockenfallen/aufschwimmen“ eingeben. Auch die gewünschte Trockenfalldauer kann eingegeben werden.
Im Beispiel mit der Trockenfalldauer von zwei Stunden berechnet die App, dass das Schiff um 13:29 Uhr bei einer Kartentiefe von SKN+52 Zentimeter festlaufen muss. Trocken liegt es dann von 15:59 bis 18:02 Uhr.
Alternativ kann die horizontale blaue Linie „Wasserpegel beim Festlaufen“ nach oben oder unten verschoben werden und damit auf einen Wasserstand mit der gewünschten Dauer des Trockenfallens eingestellt werden.
Zeitplanung nach dem Ankern
Wird an einer Stelle zum Trockenfallen geankert oder die Yacht befindet sich zwar im Wasser und liegt aber fest, kann die aktuell gelotete Wassertiefe in „Aktuelle Wassertiefe“ eingetragen werden. Die App berechnet dann die Zeiten des Trockenfallens und Loskommens.
Anderer Gezeitenort
Die App berechnet die Gezeiten immer für einen genauen Ort aus der Auswahlliste. Unter Umständen wird aber für einen abweichenden Ort geplant, bei dem die Gezeiten früher oder später einsetzen. Wenn dieser zeitliche Versatz bekannt ist, kann er in der Liste unter der Grafik bei „Gezeiten Minuten später (+) /früher (-)“ eingetragen werden. In der Praxis spielt das aber meist keine Rolle, da das Netz der angebotenen Orte in der App sehr dicht ist.
Weitere Funktionen in der App QuickTide
Über das Menü lassen sich Strömungskarten des Wattenmeers aufrufen, jeweils in stündlichem Abstand. Auch ein aktueller Wetterbericht wird geliefert. Interessant hierbei sind die detaillierten aktuellen Wettermeldungen zahlreicher Stationen.
Download der App QuickTide
QuickTide wird über die Stiftung Nautin vertrieben, einer Organisation von Ehrenamtlichen mit dem Ziel, aktuelle nautische Informationen für die Sportschifffahrt zu bündeln und zur Verfügung zu stellen. QuickTide kann über den „Google Play Store“ für Android Geräte und den „Apple App Store“ für iOS-Geräte installiert werden. Für den PC (Windows) kann das Programm hier von der Nautin-Webseite heruntergeladen werden.
Das Programm lässt sich als kostenlose Demoversion herunterladen, die zwar alle Funktionen enthält, jedoch nur für ein festes Datum in der Vergangenheit. Das erlaubt es, sich zunächst über die App zu informieren, für die Törnplanung ist die Demoversion jedoch unbrauchbar. Für die voll funktionstüchtige Version verlangt Nautin eine Spende in Höhe von 15 Euro pro Jahr. Hierfür muss man sich zunächst registrieren und erhält nach der Bezahlung die Zugangsdaten.
Fazit
Für Wattfahrer, die sich aufwändige Recherchen und Berechnungen ersparen wollen, ist die App QuickTide eine gute Hilfe. Sie bündelt umfangreiche Informationen aus zahlreichen Quellen, die ansonsten zeitaufwändig selbst organisiert werden müssen. Die App ist nach einer gewissen Gewöhnung recht benutzerfreundlich und die Darstellungen sind intuitiv verständlich.