von Daniel, Eva und Piet Müller (SY VENGA)
Seit etlichen Jahren spielten wir immer mal wieder mit dem Gedanken, einen Ozean zu überqueren. Dabei haben wir uns viele Fragen gestellt. Wie ist es, so lange auf See zu sein, kein Land zu sehen? Werden wir seekrank? Geht das mit Kind? Fragen über Fragen. Jetzt, da unsere erste Atlantiküberquerung hinter uns liegt, möchten wir unsere Erfahrungen weitergeben.
Acht Jahre lang haben wir uns auf einen großen einjährigen Törn im Rahmen einer Elternzeit vorbereitet. Von Lübeck an der Ostsee führte unser Weg zunächst nach Lanzarote und wir stellten uns der Frage: „Auf den Kanaren überwintern oder aber über den großen Teich in die Karibik segeln?“. Natürlich waren wir neugierig auf den Ozean, aber wir hatten auch immer wieder Zweifel, ob wir das schaffen können. Am Ende siegte die Ozeanüberquerung. Zu lange hatten wir schon auf die Idee hingearbeitet. Zudem waren wir uns sicher, dass wir das richtige Schiff und die richtige Ausrüstung haben. Und nicht zuletzt hatten die vielen Meilen seit Lübeck unsere dreiköpfige Familie zu einer praxiserprobten Crew zusammengeschweißt.
Die Segelyacht der Müllers inmitten der blauen Weite des Atlantischen Ozeans
Im November 2015 warfen wir schließlich die Leinen los. Eine unspektakuläre Abfahrt von Arrecife auf Lanzarote. Es folgte noch ein kurzer Tankstopp in Puerto Calero und dann ging es los. Und trotzdem hatten wir immer noch nicht so recht verinnerlicht, was wir da eigentlich machten. Die ersten Tage hatten wir mäßige, später leichte Winde und sogar einen Tag Flaute. Perfekt, um rein zu kommen.
In den mehrtägigen Schlägen auf dem Weg von Lübeck zu den Kanaren hatten wir es nie geschafft, genug zu schlafen. Dies war immer eine besondere Herausforderung. Daher hielten wir uns diesmal möglichst strikt an unser dreistündiges Wachsystem. Daniel als Frühaufsteher schlief von 21 bis 0 Uhr und von 3 bis 6 Uhr, Eva von 0 bis 3 und von 6 bis 9 Uhr. Tagsüber gönnten wir uns jeder 1 bis 2 Nickerchen und kamen so auf täglich zwischen 5 und 8 Stunden Schlaf. Das reichte.
Dadurch, dass die ersten Tage angenehm anfingen, konnten wir uns langsam eingewöhnen. Dabei brauchten wir alle noch etwas Medizin gegen Seekrankheit (kleine Dosis Dimenhydrinat). Nach fünf Tagen nahmen wir nichts mehr ein, obwohl sich mit der Zeit langsam mehr Wind und Wellen aufbauten. Dennoch: Wir waren eingeschaukelt. Maximal erlebten wir konstante 25 bis 28 Knoten Wind bei drei Meter hohen Wellen. Dabei hatten wir nicht selten eine Kreuzsee. Die Wellenhöhe reichte von 0,5 bis drei Metern geschätzter Wellenhöhe. Teilweise bestimmten die Wellen den Kurs mehr als der Wind. Wir versuchten, einen möglichst angenehmen Winkel zu den Wellen zu finden. Auf dem Ozean hat man den Platz dafür.
Kaffee kochen und Teig kneten werden im Takt der Wellen zum Balanceakt
Insgesamt haben wir so unangenehmen Schwell mit den entsprechenden Schiffsbewegungen in der Intensität nicht erwartet. Genauso erstaunt waren wir aber über das Maß, in dem wir uns daran gewöhnten. Es war anstrengend, ständig Ausgleichsbewegungen zu machen, aber wir waren frei von Seekrankheit und konnten täglich eine warme Mahlzeit kochen, unter Deck lesen, E-Mails schreiben und SSB funken. Seglerisch gab es keine diffizilen Entscheidungen zu treffen. Mal ein bisschen mehr Süd oder West um Schwachwinden zu entgehen, das war alles.
Die VENGA ist ein Stagsegelschoner mit zwei gleichhohen Masten
Unser Schiff ist ein Stagsegelschoner. Das heißt wir haben zwei gleichhohe Masten und an jedem eine identische Genua. Das Großsegel haben wir nicht gesetzt. Die vordere Genua wurde nach Luv, die hintere nach Lee ausgebaumt. Ganz platt vorm Laken konnten wir so nicht segeln, aber fast. In etwa alle zwei bis drei Tage mussten wir halsen und gemeinsam die Bäume schiften. Das gelegentliche Anpassen der Segelfläche an den Wind und die Stärke durch Trimmen und Ein- oder Ausrollen der Segel konnte stets einer von uns beiden alleine erledigen – auch in ausgebaumtem Zustand.
Wir waren froh, das Großsegel nicht zu benutzen, denn bei dem Gerolle war die Gefahr einer Patenthalse durchaus relevant. Wie wichtig ein gutes Konzept für das Vorwindsegeln ist, wurde uns klar, als uns ein Segler bei Schwachwind begegnete. Er musste motoren, weil keine passenden Spinnakerbäume vorhanden waren, während wir noch 4 Knoten Fahrt machten ohne schlagende Segel.
Immer wieder ein Höhepunkt. Der Fang eines großen Fisches.
Sternschnuppen, fliegende Fische, und der Fang von drei großen und sehr leckeren Goldmakrelen (Mahi Mahi) waren Höhepunkte der Überquerung. Dabei ist das Fangen eines großen Fisches echt Arbeit. Anlanden, Töten, Ausnehmen, Filetieren, Cockpit sauber spülen. Schnell vergehen zwei Stunden, in denen Schwell und Starkwind in Vergessenheit geraten können. Aber auch die Stunden in der Nacht allein auf Wache mit einem Milchkaffee im Cockpit waren schön. Außerdem hatten wir während der Passage regelmäßig im AIS andere Segler gesichtet und per UKW-Funk einige Freundschaften geschlossen und uns auf Grenada verabredet.
Ein kleiner fliegender Fisch ist an Deck gelandet
Unser sechsjähriger Sohn Piet hat die Reise wunderbar gemeistert. Im Vorwege hatte er sich auf 3 Wochen tägliches Fernsehen gefreut. An Land darf er nämlich nur alle drei Tage einen Film gucken, auf See täglich. Er hat Spaß daran gehabt, die Wellen zu bestaunen, die fliegenden Fische, die Sternschnuppen. Sein CD-Player war Gold wert. Abends hat unser Piet oft laut Musik gespielt und mitgesungen, tagsüber waren Hörbücher gefragt. Auch haben wir hin und wieder ein bisschen Vorschulaufgaben gemacht. Unterm Strich haben wir Piet täglich nur ein bis zwei Stunden „bespaßen“ müssen in Form von Vorlesen, Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen oder ähnlichem. Hilfreich war auch der Adventskalender. Wir hatten mal ein Hörbuch, mal ein Überraschungsei, Aufkleber oder mehrere Tage hintereinander verteilt ein Lego-Auto eingepackt. So gab es täglich eine Kleinigkeit oder neues Spielzeug.
Kindliche Logik: Bauklötze werden zwischen Matratze und Schott eingeklemmt, damit sie im Seegang nicht umkippen
Bewegungsmangel war kein Thema. Täglich hüpfte und rollte unser Sohn wild auf dem großen Doppelbett im Salon herum und spielte Kaninchen, um seinen Bewegungsdrang auszuleben. Mehr fehlte nicht. Wir hörten von anderen Crews, dass auch deren bewegungsfreudige Kinder kein Problem hatten. Wir denken, das liegt daran, dass die Schiffsbewegungen, die ständig Ausgleichsbewegungen erfordern, den Bewegungsdrang ausreichend befriedigen. Was wir Erwachsene als anstrengend erleben, ist für vier- bis achtjährige Kinder vermutlich der Minimalbedarf an Bewegung.
Selbstgemachte Eiscreme aus Orangensaft sorgt für Abwechslung und Abkühlung
Andere Familien bestätigten uns, dass gerade ihre jüngeren Kinder die mehrwöchige Passage sehr selbstverständlich angingen. Wo die Familie ist, ist der richtige Ort. Unser Sohn fragte nach 14 Tagen erstmals, wann wir denn ankommen würden.
Also ging es uns dreien gut. Mit dem Schiff, einer 15,30 Meter langen Stahlyacht mit Langkiel, fühlten wir uns wohl. Dennoch schwelte immer die Sorge im Hinterkopf, ob auch alle Systeme durchhalten. Vor allem Autopilot, Motor, Rigg, Energieversorgung und Kommunikationssysteme. Wir hatten keine größeren technischen Probleme, trotzdem lastete auf uns die ständige Sorge und das Wissen darum, auf uns allein gestellt zu sein.
Von Seglern mit mehr Ozeanerfahrung, die zur gleichen Zeit den Atlantik überquerten, hörten wir, dass unsere Atlantiküberquerung von vergleichsweise unangenehmem Schwell gekennzeichnet war. Dennoch denken wir, dass wir mit dem Wetter Glück hatten. Ein Viertel Starkwind, die Hälfte frische Winde, ein Viertel schwache Winde. Das fanden wir sehr in Ordnung. Die berüchtigten Squalls – in unserem Fall mit bis zu 39 Knoten Wind – erwischten uns nur am letzten Tag der 22-tägigen Passage.
Der Landfall in Grenada setzte weniger Emotionen frei als gedacht. Das Grün und die Geräusche des Regenwaldes waren irre. Statt eines totalen Hochgefühls hatten wir aber eher das tiefe Empfinden, wie gut es war, dort zu sein. Söhnchen stapfte genauso selbstverständlich an Land los wie er vorher drei Wochen an Bord war.
“Hart und schön!” – Die Atlantiküberquerung von Daniel, Eva und Piet Müller
Zusammenfassend hat unser Sohn die Atlantiküberquerung perfekt beschrieben. Auf die Frage mitten auf dem Atlantik, wie er es finde, antwortete er: „Hart und schön!“ Dem haben wir wenig hinzuzufügen. Wir vertrauen unserem Schiff, alles hat gut funktioniert, nichts ist kaputt gegangen inclusive der Crew, das Erlebnis war einmalig.
Das war unsere erste Atlantiküberquerung, in drei Monaten steht die zweite Atlantiküberquerung in östlicher Richtung an. Wir sind gespannt, wie wir die Rückreise via Bahamas, Bermuda und Azoren empfinden werden und ob sich unsere Eindrücke und Erfahrungen mit denen der ersten Überfahrt decken werden.
hallo, ich bin kein Segler, schon gar kein Blauwassersegler. Aber ich wäre es gerne gewesen. Nun bin ich zu alt, um es noch zu werden. Judith und Sönke Röver (Bekannte 3. Grades) haben in mir das Interesse und die Lust am “Mitsegeln” vermittelt und ich habe alle ihre tollen Berichte im Internet und später auch ihren Vortrag genossen. Auch Euren Bericht habe ich mit großem Interesse und blutendem Herzen gelesen und z.T. miterlebt. Man kann so schön die große Ungewissheit und den Respekt vor dem mutigen Schritt nachempfinden. Insbesondere auch die enorme Verantwortung, die man seinem 6-jährigen Sohn gegenüber zu… Mehr lesen »
Liebe Vengianer,
wir haben uns in Camarina getroffen (SY Izar).
Jetzt hab ich euch ausfindig gemacht. Auf eurer Webseite konnte ich mich nicht melden und email-Adresse habe ich keine gefunden.
Würde mich freuen, von Euch zu hören.