Ein Beitrag von
Karen Amme schreibt als freie Journalistin für Zeitschriften, Tageszeitungen und Fachmedien, außerdem unterrichtet sie als Dozentin den journalistischen Nachwuchs. Die Liebe zum Meer hat sie zunächst unter Wasser als Taucherin entdeckt. Die Liebe zum Segeln entfachte ihr Mann – zuerst auf einer dreimonatigen Segelreise rund Italien, dann auf mehr als 50 Chartertörns in ganz Europa und der Karibik.
Wer auf einen Kojenchartertörn geht, braucht Toleranz und Offenheit
„Es ist faszinierend, was Menschen alles auf sich nehmen fürs Segeln“, meint Jessica Pitterle. Sie hält kurz inne, dann blickt die 38-Jährige zurück und erklärt, was genau sie meint: „Als mein Freund und ich uns auf unserem ersten Kojenchartertörn eingebucht hatten, machte sich in mir Skepsis breit. Ich dachte: Oh Gott! Wie wird es mir gehen – mit wildfremden Menschen auf engem Raum! Bestimmt werde ich nicht alle mögen! Vielleicht werde ich sogar seekrank! Doch wir blieben dabei. Denn wir wollten segeln!“
Jessica Pitterle und Stefan Meier (39), damals blutige Segelanfänger, wollten Erfahrungen sammeln. Sie wollten Skippern über die Schulter gucken, wollten Semeilen machen, Routine bekommen. Da war ein Kojenchartertörn genau das Richtige. Doch den zwei Regensburgern war auch damals schon klar: Zu ihren Kojen buchten sie diverse Unwägbarkeiten dazu. Ein Schiff, das sie nicht kannten, einen Skipper, von dessen Fähigkeiten und Eigenheiten sie nichts wussten. Und Mitsegler, von denen sie mit Glück einige mögen würden, wahrscheinlich aber nicht alle.
Beim Kojencharter stehen einem die Ziele der Welt offen
Kojenchartern – das ist also zweifellos ein echtes Abenteuer. Doch Jessica Pitterle und Stefan Meier ließen sich nicht abschrecken. Sie buchten ihren ersten Kojenchartertörn, damals ging es auf einer Lagoon 450 von Ibiza nach Sardinien. „Zuvor haben wir den Sportbootführerschein gemacht, wir wollten schließlich nicht komplett ahnungslos an Bord gehen“, so Pitterle, die in einem Ingenieurbüro arbeitet.
Nach einer ausführlichen Einweisung ging es damals los, „das Meer war glatt, nur ein laues Lüftchen strich über Deck. Ich dachte: Das ist ja langweilig! Wenn das so bleibt, segeln wir nicht noch einmal.“ Doch der Wind frischte auf. „Erst hatten wir sieben, dann zwölf, dann 18, später 23 Knoten Wind“, erinnern sich die beiden. Von den vier weiteren Mitseglern wurden zwei seekrank. 48 Stunden lang zerrte der Wind an der Lagoon 450. Danach war Jessica Pitterle vom Segelvirus infiziert. „Das Segeln bei rauem Wetter fand ich toll!“
Kojencharter wird von Neulingen wie auch von erfahrenen Seglern genutzt
Auch Lore Haack-Vörsmann, 66 Jahre alt und Mutter von vier inzwischen erwachsenen Kindern, hat eine Vorliebe für schweres Wetter. Doch ihre Motive, eine Koje zu chartern, sind ganz andere. Die selbstständige Gesundheitsberaterin hat eine eigene Yacht und wahrscheinlich mehr Seemeilen in ihrem Kielwasser als viele Skipper. Warum sie sich trotzdem regelmäßig auf anderen Yachten einbucht? „Mit dem eigenen Schiff segeln wir in Deutschland und Skandinavien. Doch ich wollte immer mehr sehen, wollte andere Reviere kennenlernen! Ich hatte einfach Welthunger!“
Sie buchte sich unter anderem bei Heide und Erich Wilts ein, fuhr mit ihnen von den Pitcairn Inseln zur Osterinsel, in den Jahren darauf nach Papua-Neuguinea und nach Alaska. An Bord einer amerikanischen Segelyacht segelte sie durch den Panamakanal und nach Hawaii, nach Samoa und Tonga. Ein weiterer Törn mit Freunden, wieder in Alaska, folgte, und ein spannender Törn mit der SY Santa Maria Australis nach Grönland und nach Südgeorgien.
Tolle Erlebnisse mit Menschen und der Natur beim Kojencharter
„Bei jedem Kojenchartern bin ich aufs Neue gespannt, wer an Bord sein wird. Man hört so viele Geschichten, man bekommt so viele Einblicke in andere Berufe, das finde ich wahnsinnig spannend!“, sagt Lore Haack-Vörsmann. Sie bezeichnet sich selbst als sehr empfindungsfähigen Menschen, „dadurch habe ich viele schöne Momente erlebt.“ Mit Menschen und in der Natur. Großartige Erlebnisse haben ihr diese Reisen bislang beschert, sinniert sie, den Landfall in der Antarktis zum Beispiel.
Und auch wenn sie sich an die Reise nach Südgeorgien zurückerinnert, fängt sie an zu schwärmen – von dem Moment, als sie den Pinguinen gegenüberstand und als sie den Albatrossen beim Gleiten um das Schiff zugeschaut hat. Viele Kontakte mit Einheimischen, etwa auf den zahlreichen Segelreisen in der Südsee, bleiben ebenso in Erinnerung. Lore Haack-Vörsmann weiß, dass sie noch lange von ihnen zehren wird, auch wenn die Reisen schon eine Weile zurückliegen.
Durch ihre zahlreichen Kojenchartertörns weiß sie auch um die diversen Kniffe und Regeln, die zum Gelingen solch eines Törns beitragen. „Man sollte Rücksicht nehmen können und ausgeglichen und zuverlässig sein“, sagt sie. „Außerdem betritt man an Bord einer Yacht ständig die Intimsphäre eines Mitseglers. Man kann nicht den Abstand wahren, den man sonst wahrt. Daher ist es wichtig, sich zwischendurch zurückzuziehen.“ Dafür nimmt sie sich Bücher und Musik mit, „quasi ein Wohlfühlpaket, so kann ich immer das Beste aus einem Törn machen.“
Tipp: Wer unsicher ist, was für einen Törn als Mitsegler alles eingepackt werden sollte, findet hier eine umfangreiche Packliste.
Auch Ulf-Hartwig Hagemann, 66, zieht sich regelmäßig zurück, „auch auf einem gut besetzten Schiff findet man ein Eckchen dafür“, meint der Oberstaatsanwalt aus Berlin. Er segelt seit Kindertagen, hat ein eigenes Schiff und immer wieder auch selbst gechartert. „Doch meine Frau hatte Angst auf dem Wasser, und das wurde mit den Jahren leider nicht weniger, sondern mehr.“
Kojencharter als Option für Eigner?
Statt sich Mitsegler zu suchen, buchte Hagemann irgendwann eine Koje, 1986 zum ersten Mal, damals segelte er auf einer Dehler 38 von Gran Canaria nach Malaga. „Ich war derjenige, der nach dem Skipper am meisten Ahnung hatte“, eine Erfahrung, die Hagemann immer wieder machen sollte. „Häufig verstehen Kojencharterer wenig vom Segeln“, meint er. Doch das stört ihn nicht. Genervt hat ihn allerdings ein Mitsegler, der im vergangenen Jahr mit ihm an Bord war. „Der wollte partout nichts lernen!“ Beim Anlegen stellte sich heraus, dass der Palstek nicht sitzt. Auf Hagemanns Angebot, ihm diesen noch einmal zu zeigen, winkte der Knoten-Banause ab, „er schaue sich das mal im Internet an, hat er gesagt. Fortan habe ich bei Manövern gedacht: Ich mache es lieber allein!“
Probleme sollten am besten gleich angesprochen werden
Hagemann hat inzwischen mehr als ein Dutzend Kojenchartertörns absolviert, häufig in den nördlichen Breiten, hin und wieder im Mittelmeer, am liebsten bucht er jedoch Atlantikpassagen, „etwa von den Azoren oder den Kanaren nach Hamburg.“ Er weiß heute, was man mitbringen muss, damit man eine Seereise mit fremden Menschen genießen kann. „Man sollte alle Charaktere aushalten können“, so Hagemann, „auch die Betriebsnudel, die nicht still sein kann. Man muss vieles hinnehmen können und diplomatisch und tolerant sein.“
Und wenn doch mal Schwierigkeiten auftreten? Dann ist das Runterschlucken seiner Meinung nach keine gute Strategie, „daraus entwickelt sich allzu oft eine schlechte Stimmung. Besser man stellt freundlich klar, wenn die Toleranzschwelle überschritten wurde“, so Hagemann. Für ihn ist das zum Beispiel der Fall, wenn Alkohol fließt, solange das Schiff sich noch bewegt.
Das Abenteuer Mitsegler ist meist genauso groß wie das Abenteuer Segeln
Auch Jessica Pitterle und Stefan Meier haben diese Erfahrung gemacht. Auf ihrem zweiten Kojenchartertörn – sie segelten von Malaga über Algerien nach Malta – hat der Skipper „mehr oder weniger sein Ding durchgezogen“, so Meier, der in der IT-Branche im Außendienst arbeitet. „Wir sind viel unter Maschine gelaufen und weniger gesegelt als erwartet.“ Wenn die Crew baden wollte, fuhr der Skipper stattdessen weiter. In Algerien wäre Jessica Pitterle gern landestypisch essen gegangen, doch der Skipper steuerte die nächste Pizzeria an. „Und wenn die Segel oben waren und wir gern das Gurgeln des Meeres gehört hätten, lief der Generator für den Wassermacher“, erinnert sich Jessica Pitterle. Kleinigkeiten, die die Stimmung an Bord verdarben. Doch rückblickend kann Stefan Meier fast darüber hinwegsehen. „Die positiven Erinnerungen überwiegen“, sagt er heute. „Die Reiseroute war super spannend, und die Nachtwachen haben uns beeindruckt. Vor allem das Meeresleuchten und die Leuchtquallen. Außerdem war es atemberaubend schön, als sich Valletta auf Malta am frühen Morgen aus dem Nebel schälte!“
Das Gelingen des Kojencharter-Törns hängt stark vom Skipper ab
Jochen Schoenicke, Inhaber des Schoenicke Skipperteam, wundern Geschichten wie diese kaum, er hat schon alles erlebt. Mehr als 1600 Segler buchen Jahr für Jahr eine Koje bei dem Hamburger Unternehmen, in Nord- und Ostsee, in Nordeuropa, dem Baltikum, im Mittelmeer und in der Karibik. „Manchmal haben wir auch Angebote in der Südsee und an den Küsten Südafrikas im Programm.“ Jochen Schoenicke weiß aus Erfahrung: „Der Skipper ist der Mittelpunkt eines jeden Törns, von ihm hängt vieles ab.“ Er muss gut segeln können, natürlich, „aber darüber hinaus muss der Skipper auch Animateur sein, er muss seine Mitsegler fördern und fordern können, muss gut organisieren können und sich im Idealfall auch noch mit all der Technik an Bord auskennen.“
Ein anspruchsvoller Job. Doch ist so ein „Idealtyp“ an Bord, gibt es selten Beschwerden, so Jochen Schoenicke. „Obwohl, ganz sicher kann man nie sein“, unterbricht er sich selbst: „Einmal hat sich ein Kunde beschwert, weil das Schiff immer schief lag und geschaukelt hat!“ Jochen Schoenicke lacht tief und dunkel, als er sich daran erinnert, er sagt, „manchmal haben die Menschen schon skurrile Vorstellungen.“ Doch die allermeisten seiner Kundinnen und Kunden seien höchst zufrieden. Und das liegt laut dem großen graubärtigen Mittsechziger auch daran, dass man sich reduziert. „Man denkt nicht ständig darüber nach, ob man diesen oder jenen mag. Es geht eher darum, ob man bei dem Geschaukel ins Bett kommt oder ob man vorher noch eine Brühe kocht. Alles andere ist sekundär!“, das weiß der Hamburger Kojenvercharterer aus drei Jahrzehnten Erfahrung.
Auch Extremseglerin Lore Haack-Vörsmann ist bislang mit jeder Crew klargekommen. „Ich weiß, worauf ich mich bei einem Kojenchartertörn einlasse. Ich bin Teil einer Mannschaft und nicht Tourist. Das heißt, ich bin wie alle anderen auch für das Gelingen eines Törns mitverantwortlich.“ Nur beim Wachwechsel sollte man ihre Toleranz und Geduld nicht auf die Probe stellen. „Nichts ist ätzender, als in solchen Momenten zu spät zu erscheinen!“, bringt sie es auf den Punkt. Dem schließt sich auch der Berliner Oberstaatsanwalt an: „Das ist das Allerschlimmste! Man hört sie, man sieht sie, aber sie kommen einfach nicht hoch!“ In so einem Moment hat Ulf-Hartwig Hagemann schon einmal deutliche Worte gefunden.
Fazit: Das Abenteuer Kojencharter lohnt sich
Doch Situationen wie diese sind die Ausnahme, meist läuft es rund an Bord eines Kojenchartertörns, weil alle das gleiche Ziel haben: Sie wollen segeln, miteinander auskommen, eine gute Zeit verbringen, Erfahrungen sammeln. Auch Jessica Pitterle und Stefan Meier gucken glücklich auf ihre Segelreisen zurück. Sie haben zwar keine Freunde fürs Leben gefunden, aber viel gelernt, gerade auf ihrem letzten, dem dritten Törn dieser Art. Auf einem Alu-Katamaran mit 54 Fuß Länge sind sie auf Nord- und Ostsee gesegelt. „Da hat uns der Skipper viel machen lassen, das war super!“, resümiert Pitterle.
Für uns war es ein Einstieg ins Seglerleben – einige tausend Seemeilen mit unserer Sundowner selbst als Skipper später kann ich nur sagen: Jeder Mitsegeltörn war toll und lehrreich.
Allerdings ist es etwas ganz anderes, dann selbst auf dem eigenen Boot unterwegs zu sein…
Danke für die schönen Erinnerungen an unsere Segel-Anfänge!
Jessica & Stefan, SY-Sundowner.de