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Olivier Christen ist seit 2009 bei der Firma Bernhardt Apparatebau GmbH u. Co. (Secumar) als Verkaufsleiter Sport tätig. Olivier sammelte bereits als Kind Segelerfahrung auf einer von den Eltern selbstgebauten 36-Fuß-Ketch bei einer Mittelmeer-Umrundung und später auf verschiedenen Jollen in Frankreich. Seit 2001 lebt er in Norddeutschland und segelt Regatten auf unterschiedlichen Booten wie beispielweise J24.
Wozu ist die Rettungsweste da?
Die Anforderungen, die eine Rettungsweste erfüllen muss, sind vielseitig und hängen auch stark vom Fahrtengebiet ab. Logischerweise gibt es beim küstennahen Segeln andere Anforderungen als bei einer Ozeanüberquerung. Vor dem Erwerb einer Rettungsweste ist es daher wichtig, die Ausstattungsmerkmale der Rettungsweste mit den eigenen Ansprüchen in Einklang zu bringen. Bei einem Herbsttörn über die Biskaya kann das beispielsweise das Zusammenspiel zwischen der getragenen Schlechtwetterkleidung und dem Auftrieb der Weste sein. Ist die Kleidung schwer und neigt zu Lufteinschlüssen, muss der Auftrieb hoch gewählt werden, damit die Weste ohnmachtssicher ist.
Der Auftrieb ist nur ein Beispiel von vielen. Andere wichtige Aspekte sind die Automatik-Einheit mit Patrone, der Aufbau des Schwimmkörpers, das Spraycap, das Notlicht sowie die Ausgestaltung von Leib-, Schritt- und Rettungsgurt. Und nicht zu vergessen das Thema: Wartung.
Im Folgenden werde ich die einzelnen Ausstattungsmerkmale einer Rettungsweste erklären und aufzeigen, was bei der Wahl der „richtigen“ Weste beachtet werden sollte, damit dem ungetrübten Segelspaß nichts im Wege steht – vor der Küste oder auf hoher See.
Patrone/Automatikeinheit der Rettungsweste
In der Patrone ist stark komprimiertes Gas enthalten. Beim Auslösen wird die Patrone mit einem Dorn durchschlagen und das Gas entweicht in den Schwimmkörper der Rettungsweste. Dadurch wird sie aufgeblasen.
Kam es zur Auslösung, wird ein Tausch der Patrone erforderlich. Dabei sollte immer darauf geachtet werden, eine Original-Patrone zu verwenden, die eine entsprechende Qualitätsprüfung beim Hersteller durchlaufen hat – schließlich hängt das eigene Leben von der Zuverlässigkeit der Patrone ab und es wäre fahrlässig, hier zu sparen.
Die Patrone ist aus beschichtetem Metall und ihre Lebensdauer ist theoretisch unbegrenzt. Allerdings sollten Patronen, die gerostet sind, ausgetauscht werden, weil der Rost ihre Oberfläche anraut. Scheuert die Patrone dann dauerhaft am Schwimmkörper, kann dieser Schaden nehmen und kaputt gehen.
Generell gilt, dass die Größe der Patrone zur Weste passen muss, da eine Verwechslung von Patronen theoretisch möglich ist. Während eine zu kleine Patrone zu wenig Gas in die Weste pumpt, kann eine zu große Patrone die Weste überfüllen und gegebenenfalls zum Platzen bringen. Um die richtige Größe zu finden, reicht ein Blick in die Anleitung der Weste – es ist Pflicht, sie dort anzugeben. Manche Hersteller drucken die Angabe zudem auf dem Schwimmkörper der Weste auf. Das ist hilfreich und ein netter Service.
Neben den klassischen Schraubverbindungen an den Patronen haben sich in den letzten Jahren zunehmend auch Bajonett-Verschlüsse durchgesetzt. Das hat viele Vorteile:
Bei einem Bajonett-Verschluss kann der Dorn, der die Patrone durchschlägt, in diesen integriert werden. Dadurch kommt nach einer Auslösung immer ein neuer Dorn zum Einsatz und es gibt keinen Verschleiß.
Außerdem ist eine Ampel-Anzeige möglich. Sie sagt aus, ob die Patrone voll (grün) oder leer ist (rot). Bei Systemen ohne Bajonett kann auch eine leere Patrone eingeschraubt werden. Die Ampel würde dann „grün“ anzeigen, da sie davon ausgeht, dass eine neue Patrone eingesetzt wurde.
Tipp: Bei der Wahl der Rettungsweste würde ich persönlich immer darauf achten, dass diese eine Ampel hat und die Rettungsweste mit einem Fenster versehen ist, durch das erkannt werden kann, was die Ampel anzeigt.
Zudem gibt es beim Bajonett-Verschluss ein Einklicken. Dadurch kann sich die Patrone nicht von alleine lösen – beispielsweise durch Vibration. Ich habe das gerade wieder auf einem gecharterten Schiff in der Karibik erlebt, wo Rettungswesten im Einsatz waren, die kein Bajonett hatten. Zwei von vier Patronen hatten sich losgerüttelt.
Wurde die Weste ausgelöst, muss bei manchen Herstellern die ganze Automatik getauscht werden. Das halte ich für ungünstig, da dann die Verbindung zwischen Schwimmkörper und Automat angefasst werden muss. Wird hier beim Austausch ein Fehler gemacht, ist die Rettungsweste undicht.
Manchmal ist es erforderlich, dass die Weste nur manuell ausgelöst werden kann – beispielsweise beim Regattasegeln oder beim Kajakfahren (mit viel Wasserkontakt). Bei einigen Herstellern ist es möglich, die Rettungsweste mit einem speziellen Zubehörteil nachzurüsten. Bei Kinderwesten ist dies natürlich zu unterlassen.
Schwimmkörper der Rettungsweste
Der Schwimmkörper ist der wichtigste Teil der Weste. Er wird mit dem Gas aus der Patrone gefüllt und sorgt für den Auftrieb. Standardmäßig gehört an jeden Schwimmkörper ein (Mund)-Ventil zum Ablassen und Hinzufügen von Luft, eine Signal-Flöte und mehrere Reflektor-Streifen. Optional ist bei den meisten Herstellern zudem ein Licht erhältlich. Wenn Nachtfahrten zum Törnplan gehören, sollte die Ausstattung der Weste mit einem Licht immer in Betracht gezogen werden.
Licht der Rettungsweste
Das Licht ist für gewöhnlich so gebaut, dass beim Kontakt mit Wasser eine automatische Aktivierung stattfindet. Danach leuchtet das Licht mindestens acht Stunden, sofern es die Sicherheitsanforderungen der SOLAS-Bestimmungen (Safety Of Life At Sea) erfüllt. Diese Angabe bezieht sich auf das reine Leuchten. Da die Lampe an der Rettungsweste jedoch blinkt, hält der Akku somit länger, als man im Wasser überleben kann. 🙂 Unabhängig vom Auslösen sollte die Batterie diesen Anspruch mindestens fünf Jahre ohne Selbstentladung erfüllen können.
Im Idealfall sind Lampe und Batterie in separaten Einheiten untergebracht. Dazwischen ist ein hochstabiles Kabel. Das hat den Vorteil, dass die Batterie möglichst tief hängen kann, um einen kontinuierlichen Wasserkontakt zu gewährleisten. Umgekehrt kann die Lampe möglichst hoch am Schwimmkörper montiert werden. So ist sie besser sichtbar.
Hinweis: Die Batterie sollte so gebaut sein, dass die Wassertemperatur keinen Einfluss auf die Leuchtdauer hat. Das Licht muss in der Nordwestpassage genauso zuverlässig funktionieren wie in den Tropen!
Verschluss der Rettungsweste
Im Bereich der Hüfte läuft ein breiter Gurt um den Körper, an dem sich der Verschluss befindet, mit dem die Weste angelegt und geschlossen wird. Der Verschluss der Rettungsweste wird in seiner Wichtigkeit oft unterschätzt. Im eigenen Interesse sollte darauf geachtet werden, dass es sich um einen hochwertigen Verschluss handelt, der einfach (auch mit Handschuhen) zu bedienen ist.
Ist die Bedienung des Verschlusses zu kompliziert oder muss gar bei jedem Öffnen und Schließen die Gurtlänge angepasst werden, führt dies zu einer unwilligen (und in der Folge verminderten) Nutzung der Rettungsweste, weil die Bedienung als umständlich empfunden wird. Generell gilt: Das An- und Ablegen darf kein Hindernis sein.
Des Weiteren sollte der Verschluss so konstruiert sein, dass er nur mit zwei Fingern geöffnet werden kann. Gibt es nur einen Knopf, kann es zu einem versehentlichen Öffnen der Weste kommen.
Und nicht zu Letzt sollte der Verschluss unter Last zu öffnen sein. Hat sich ein Segler mit der Rettungsweste versehentlich irgendwo verhakt, kann es erforderlich sein, den Gurt unter Druck öffnen zu müssen. Das kann insbesondere auch nach der Benutzung eines Bergesystems in einer Mensch-über-Bord-Situation der Fall sein. Dafür muss der Verschluss ausgelegt sein! Umgekehrt darf er nicht versehentlich öffnen – beispielsweise bei einem Sturz.
Mit anderen Worten: Der Verschluss ist ein wichtiges Teil an der Weste und hierauf sollte bei der Auswahl ein besonderes Augenmerk gerichtet werden.
Einpicken mit der Lifeline
Ein weiteres Feature ist der Wunsch der meisten Segler, sich mit der Weste über eine sogenannte Lifeline anleinen/einpicken zu können – etwa bei Sturm auf hoher See im Cockpit oder an einem Strecktau bei Arbeiten an Deck. Hierbei ist darauf zu achten, dass es sich um eine nach DIN EN ISO 12401 zugelassene Sorgleine handelt.
Eingepickter Segler in schwerer See
Jede Rettungsweste sollte mit einem nach DIN EN ISO 12401 zugelassenen Harness (auch Lifebelt genannt) ausgestattet sein. Die Lifeline wird dann an einem sogenannten D-Ring im oberen Bauchbereich an der Weste über einen Karabinerhaken eingehakt. Aufgrund seiner Form kann sich der D-Ring nicht verdrehen. Außerdem sollte er groß genug sein, um die drei Karabinerhaken der Lifeline aufnehmen zu können.
Die Lifeline selbst sollte mit Karabinern aus Edelstahl versehen sein, die eine Sicherung haben und daher gegen versehentliches Öffnen geschützt sind. Karabinerhaken aus Aluminium haben sich im Yachtbereich nicht bewährt. Für das Bergsteigen sind sie super geeignet, aber nicht für die Salzwasser-Umgebung an Bord einer Yacht auf Langfahrt. Sie gehen zu schnell kaputt.
Stürzt ein Crewmitglied, während er oder sie eingepickt ist, kommt es zu extrem hohen Belastungen an der Lifeline. Dabei kann das Material geschwächt werden. Hochwertige Lifelines verfügen über einen Stressindikator. Das ist eine doppelt gelegte Leine, die nur leicht vernäht ist. Bei einer Überbeanspruchung wird sie beschädigt und zeigt an, dass es selbige gab. Dann sollte die Lifeline getauscht werden.
Tipp: Jede Lifeline an Bord einer Fahrtenyacht sollte die DIN EN ISO 12401 erfüllen
Liftgurt/Bergegurt der Rettungsweste
Theoretisch könnte der D-Ring auch genutzt werden, um eine im Wasser befindliche Person abzubergen – beispielweise durch Einpicken eines Falls. Allerdings ist der D-Ring dann unter Wasser und bei aufgeblasener Rettungsweste ist der Schwimmkörper davor. Daher gibt es bei hochwertigen Produkten einen mit Klett nach oben fixierten Bergegurt, der am Schwimmkörper anliegt und oberhalb der Wasseroberfläche greifbar ist. Das ist quasi ein verlängerter Arm zum Harness.
Schrittgurt der Rettungsweste
Der Schrittgurt wird in seiner Funktion gerne unterschätzt und er sollte immer getragen werden. In der Praxis sieht man leider häufig das Gegenteil. Bei seriösen Herstellern gehört er zur Standard-Ausrüstung der Rettungsweste und muss nicht optional bestellt werden. Während er bei Kinder-Rettungswesten fest vernäht sein kann, kann er bei Rettungswesten für Erwachsene demontiert werden.
Die Aufgabe des Schrittgurtes ist es, die Rettungsweste nach unten zu fixieren. Das ist vor allem dann erforderlich, wenn sie zu lose getragen wird, also der Leibgurt nicht eng genug fixiert wurde. Viele Segler neigen dazu, weil die Rettungsweste dann luftiger anliegt. Das ist nicht förderlich und kann nach dem Auslösen zu einem echten Problem werden. Im ungünstigsten Fall rutscht die Rettungsweste über den Kopf oder der Schwimmkörper drückt auf den Hals. Da die Segelbekleidung in den letzten Jahren immer glatter geworden ist, ist das ein ernstzunehmendes Thema.
Tipp: Der Leibgurt ist richtig eingestellt, wenn noch zwei Finger zwischen ihn und den Körper passen.
Auftrieb der Rettungsweste
Der Auftrieb der Rettungsweste wird in der physikalischen Einheit Newton (N) angegeben. Es gilt: Je höher die Zahl, desto größer ist der Auftrieb. In der DIN EN ISO 12402 Teil 2 bis 5 werden die verschiedenen Auftriebsklassen definiert: 50N, 100N, 150N und 275N.
Wichtig zu wissen ist, dass bei der Wahl des Auftriebs das Körpergewicht der Person keine große Rolle spielt. Entscheidend ist die Art der Bekleidung. Je größer der reale Auftrieb der Rettungsweste, desto schneller wird die Person in die ohnmachtssichere Rückenlage gedreht und desto weiter schaut sie aus dem Wasser heraus.
Für Fahrtensegler sind 150 N oder 275 N relevant, da die Rettungsweste auch dann noch funktionieren muss, wenn die Person Schwerwetterkleidung trägt. Gerade die typische Schlechtwetterkleidung – das Ölzeug – ist ein Problem, da Lufteinschlüsse unter der dichten Jacke einen erheblichen Einfluss auf das Drehverhalten haben.
Vor allem das Drehverhalten ist immens wichtig, da die Rettungsweste eine Person gegebenenfalls von der Bauchlage in die Rückenlage bringen soll. Ein hoher Auftrieb dreht die Person dann zuverlässiger, da den Lufteinschlüssen mehr Luft im Schwimmkörper entgegensetzt werden kann – schließlich muss die eingeschlossene Luft mitgedreht werden. Die Empfehlung lautet daher immer 275 N.
Spraycap an der Rettungsweste
Das Spraycap ist eine Haube, die über den Kopf gezogen wird. Es schützt die Atemwege vor Wasser aus der Luft. Gerade bei viel Seegang mit fliegender Gischt ist das ungewollte Salzwasserschlucken ein Problem. Das Spraycap verhindert dann das Ertrinken von innen. Für Blauwassersegler sollte es zur Ausrüstung gehören.
Ein weiterer wichtiger Effekt des Spraycaps ist, dass der Kopf warm gehalten wird, da nicht ständig neues Wasser die Kopfhaut/Haare durchnässt.
Seenotsender an der Rettungsweste
In den letzten Jahren ist es zunehmend in Mode gekommen, die Rettungsweste zur eigenen Sicherheit mit einem Personal Locator Beacon (PLB) oder AIS-MOB-Sender auszustatten. Das ist kostspielig, hat aber den Vorteil, dass eine über Bord gegangene Person über die Seenotbake oder das AIS-Signal lokalisiert werden kann.
Elektronische Alarmierungs- und Ortungsgeräte für den Seenotfall sind eine sinnvolle Ergänzung. Wenn sie fest in Rettungswesten eingebaut werden, bieten sie ein Plus an aktiver Sicherheit. Allerdings müssen bei der Kombination von Gerät und Weste wichtige Faktoren beachtet werden, damit das komplette System funktioniert. Ziel ist es, dass sich der Sender beim Aufblasen der Rettungsweste automatisch aktiviert. Daher ist es wichtig, dass sich Rettungsweste und Sender nicht gegenseitig stören. Dazu gehört vor allem, dass der Sender fachgerecht in die Schutzhülle integriert wird. Andernfalls kann er den Schwimmkörper der Rettungsweste beschädigen – etwa durch scharfe Kanten. Außerdem muss sich die Antenne beim Aufblasen problemlos aufrichten können.
Wichtig: Ein falsch gewählter Sender und ein unqualifizierter Einbau können im schlimmsten Fall die Rettungsweste zerstören oder zumindest die Funktionsfähigkeit sowohl der Rettungsweste als auch des Senders beeinträchtigen! Zudem kann die Zulassung der Rettungsweste nach DIN EN ISO verfallen, sollte ein nicht zur Baumusterprüfung des Rettungswestenherstellers passender Gegenstand eingebaut werden.
Fazit
Die vorstehenden Zeilen haben gezeigt, dass eine Menge Anforderungen an die Rettungsweste gestellt werden und Rettungsweste nicht gleich Rettungsweste ist. Vor dem Erwerb einer Rettungsweste ist es daher wichtig, die eigenen Ansprüche mit den Ausstattungsmerkmalen der Weste in Einklang zu bringen, damit dem ungetrübten Segelspaß nichts im Wege steht – vor der Küste oder auf hoher See. Dabei sollte auch immer bedacht werden, dass eine hohe Qualität mit entsprechender Qualitätssicherung auch ihren Preis hat. Es wäre falsch, bei der eigenen Sicherheit am falschen Ende zu sparen. Safety First!
Weitere Informationen auch unter www.secumar.com