Segeln in hohen Breiten: Die verschiedenen Arten von Eis

Ein Beitrag von

Jürgen Kirchberger

Zusammen mit seiner Frau Claudia ist Jürgen seit vielen Jahren auf der Stahl-Ketsch LA BELLE EPOQUE unterwegs. Seine letzte Reise führte ihn in zehn Jahren rund um den amerikanischen Kontinent, inklusive einer erfolgreichen Fahrt durch die Nordwest-Passage und Fahrten in die Antarktis. Er hat mit seiner Expeditionsyacht mehrere Winter in der Arktis verbracht und alle Fjordregionen dieser Erde besegelt. Jürgen ist Techniker und gelernter Werkzeugmacher und schreibt Bücher über das Expeditionssegeln wie „Segeln in den Hohen Breiten“.

Faszination Eis

Eis macht einen großen Teil des Reizes der Hohen Breiten aus. Mit dem eigenen Schiff zu einer Gletscherzunge zu fahren, die erste Sichtung eines Eisberges oder der erste Kontakt mit Packeis hinterlassen bleibende Erinnerungen. Welche Anziehungskraft Eis auch immer hat, so gefährlich und zerstörerisch kann es auch sein. Deshalb sollte sich jeder Segler bereits vor Eisfahrten mit dem Thema Eis auseinandersetzen. Mit etwas Zeit und Erfahrung lernt man, Eis richtig zu interpretieren und die Gefahren von Eis besser einzuschätzen.

In diesem Beitrag soll es nur um die verschiedenen Formen von Eis gehen. Für die Interpretation von Eiskarten – in denen die verschiedenen Eisarten vorkommen – habe ich den Beitrag: “Segeln in hohen Breiten: Empfang und Interpretation von Eiskarten” geschrieben.

Formen von Eis

Werden Gebiete mit Eis befahren, muss die Crew Eiskarten lesen und die unterschiedlichen Formen von Eis einschätzen können. Die Art und die Größe des Eises bestimmen, ob sich die Yacht durch ein Eisfeld schieben oder brechen kann oder ob sie in Gefahr kommt, vom Eis beschädigt zu werden. Die Bezeichnungen der unterschiedlichen Eisarten werden für gewöhnlich in Englisch angegeben, da die meisten erhältlichen Eiskarten in englischer Sprache ausgesendet werden.

Vom Segeln im Eis geht eine große Faszination aus.

Sea ice (Meereis/Packeis)

Sea ice ist größtenteils gefrorenes Salzwasser. Es entsteht, wenn die Oberfläche des Meeres friert. Salzwasser mit einem durchschnittlichen Salzgehalt von 35 Promille friert bei einer Temperatur von -1,88 Grad Celsius. Dabei werden auch Eisberge, Growler und Bergy Bits (bestehend aus Frischwasser) im Packeis eingeschlossen.

Ist Meereis mit der Küste oder dem Meeresboden verbunden, kann es seine Position nicht durch Wind oder Strömung ändern. Es wird „fast ice“ oder „shore fast“ genannt. Ragt fest verbundenes Eis mehr als zwei Meter über die Wasseroberfläche, spricht man von einem „Eisschelf“ (ice shelf).

Herbe Schönheit

In der Antarktis wird Meereis, welches sich mit gestrandeten Eisbergen verbunden hat und stationär ist, ebenfalls „fast ice“ genannt. Meereis in der Antarktis hat einen größeren Frischwasseranteil durch Schneefall als in der Arktis und ist etwas weicher. Treibendes Meereis wird generell Packeis (pack ice, ice pack) genannt. Einzelne Schollen werden als „ice floe“ bezeichnet.

Die durch Wind und Strömung verursachte Drift von Packeis kann durchaus mehrere Seemeilen am Tag betragen. Sofern eine Information über die Drift vorliegt, wird diese Drift in sogenannten Eiskarten mit Hilfe von Pfeilen vermerkt. Die Ausdehnung von Meereis wird in den Eiskarten in 0/10 bis 10/10 Bedeckung angegeben. Die Interpretation von Eiskarten wird in einem eigenen Beitrag erklärt.

Polynyas sind irreguläre Öffnungen im Meereis, ebenso wird offenes Wasser zwischen Packeis als Polynya bezeichnet. Interessanterweise entstehen in der Arktis jedes Jahr Polynyas an den gleichen Stellen.

Zwei Yachten bahnen sich ihren Weg durch das Packeis.

Alter und Stärke von Packeis wird in einjähriges Eis (First year ice) oder mehrjähriges Eis (Multi year ice) eingeteilt. Einjähriges Meereis hat noch keine Sommerschmelze überstanden und ist mindestens 30 cm dick. Dünneres Eis wird als „new ice“ (bis 10 cm dick) und als „gray – white ice“ (10 bis 30cm dick) bezeichnet.

Mehrjähriges Eis hat bereits mindestens eine Sommerschmelze überstanden und kann zwei oder mehr Jahre alt sein. Mit dem Alter nimmt die Härte des Eises zu, da sich der Salzgehalt durch die Sommerschmelze verringert. Mehrjähriges Eis erreicht eine Dicke von mindestens zwei Metern.

Dichtes Packeis

Während der letzten Jahre reduziert sich mehr Packeis des arktischen Ozeans als noch im letzten Jahrhundert. Die Reduzierung von Packeis im Sommer sollte die Navigation im Arktischen Gewässer eigentlich vereinfachen. Großteils trifft dies auch zu, doch kann sich Packeis durch die reduzierte Eisfläche schneller bewegen und seine Position täglich drastisch ändern. Durch die höhere Drift kann die Packeisbedeckung sehr schnell variieren, aus einer 3/10 Bedeckung kann innerhalb weniger Stunden eine 8/10 Bedeckung werden. Deshalb ist der regelmäßige Empfang und die richtige Interpretation von Eiskarten bei Passagen durch die Arktis wichtig.

Packeis, speziell mehrjähriges Eis, stellt für jedes Schiff eine große Gefahr dar. Eine Yacht sollte daher auf keinen Fall in mehrjähriges Packeis fahren.

Gletschereis

Gletschereis besteht aus Frischwasser und entsteht ausschließlich an Land. Es kommt in drei verschiedenen Formen und Größen vor. Die Bezeichnung und Angabe der Größe von Eis wurde generell von WMO (Welt Meteorologie Organisation) standardisiert, kann aber dennoch manchmal etwas abweichen.

Die Größe von Gletschereis wurde von der WMO standardisiert.

Eisberge

Eisberge (Iceberg) entstehen durch das Kalben von Gletschern. Ihre wahre Größe bleibt vor den Augen unsichtbar, bis zu 1/5 ihrer Masse befindet sich unter der Wasseroberfläche. Eine Größe, die nur schwer vorstellbar bleibt. Erst wenn ein Eisberg kentert, also seine Lage ändert, kann die beeindruckende Größe dieser Eismassen erahnt werden.

Klassischer Eisberg
Gekenterter Eisberg. Der weiße Pfeil zeigt auf die alte Wasserlinie.

Wenn Eisberge kentern, sich also im Wasser drehen, kann es für Yachten zu gefährlichen Situationen kommen: Ist die Yacht dem Eisberg zu nahe, läuft sie Gefahr, von der durch Kenterung verursachten Welle (Mini-Tsunami) überrollt zu werden. Das gleiche gilt für das Kalben von Gletschern. Dann brechen große Eisblöcke ab und ein neuer Eisberg entsteht.

Ein Gletscher kalbt und ein Eisberg wird geboren

Sowohl die Kenterung von Eisbergen wie auch das Kalben von Gletschern passiert plötzlich, ohne Vorwarnung. Die Navigation in nächster Nähe von großen Eisbergen und Gletschern ist deshalb nicht ungefährlich und sollte möglichst vermieden werden. Bei der Annäherung mit der Yacht an einen Eisberg muss bedacht werden, dass manche Eisberge einen weit hinausragenden Unterwasservorsprung haben, der nicht immer von Deck aus sofort zu sichten ist.

Durch die massive Unterwasserfläche treiben Eisberge fast immer mit der Strömung und nicht mit dem Wind.

Eisberge treiben fast immer mit der Strömung und nicht mit dem Wind.

Antarktische Eisberge werden durch ihre Form meist Tabular-Eisberge genannt, sie sind teilweise größer als Eisberge in der Arktis. Eisberge in der Antarktis können eine Fläche von 200 x 50 Kilometer haben und ragen bis zu 200 Meter aus dem Wasser. Sie treiben mit der Meeresströmung in nördliche Richtung bis zum 45. südlichen Breitengrad im Pazifischen Ozean und 35. südlichen Breitengrad im Atlantischen und Indischen Ozean. (Quelle Sailing Directions PUB.200 Antarctica)

Arktische Eisberge treiben in den Süden bis zirka 48 Grad nördliche Breite, östlich von Neufundland können Eisberge aber auch bis 40 Grad Nord driften.

Kleinere Eisstücke werden Growler genannt.

Growler

Beim Kalben von Gletschern und Eisbergen oder durch das Zerbrechen von Eisbergen werden auch kleinere Eisstücke produziert. Growler werden Eisbrocken genannt, die weniger als einen Meter über die Wasseroberfläche reichen und bis fünf Meter lang sind.

Growler sind für Yachten besonders gefährlich, da sie im Seegang schwer zu sichten sind, vor allem, wenn der Wind auffrischt und weiße Gischt auf den Wellen erscheint.

Growler sind für Yachten gefährlich, da sie im Seegang schwer zu sichten sind.

Eine Form von Growler (in der Arktis „Black Ice“ genannt) ist glasklar und daher kaum noch von ihrer Umgebung im Wasser zu unterscheiden. Black Ice gehört zu den gefährlichsten Eisstücken für Yachten, da sie nicht rechtzeitig zu sichten sind.

Growler sind klein genug, um in jede Bucht zu treiben. Einzelne Growler sollten für ankernde Yachten kein Problem darstellen. Treiben unzählige Growler in die Ankerbucht, muss rechtzeitig ankerauf gegangen werden, bevor sich die Bucht füllt und die Yacht nur noch schwer ins offene Wasser findet.

Ein gestrandeter Growler zeigt seine wahre Größe.

Bergy Bits

Bergy Bits sind größer als Growler, aber nicht über fünf Meter hoch und maximal fünfzehn Meter lang. Sie sind im Seegang leicht auszumachen. Selbst bei dichtem Nebel haben Radargeräte kaum Schwierigkeiten, die aufmerksame Crew rechtzeitig zu warnen.

Bergy Bits machen allerdings Probleme, wenn sie in Ankerplätze treiben. Im Gegenteil zu Eisbergen haben sie nicht so viel Tiefgang, dass sie noch vor der ankernden Yacht stranden. Sie können aber durchaus gleich groß oder größer als die Yacht sein und diese so in ernstzunehmende Bedrängnis bringen. Vor allem, wenn sich die Ankerkette an ihnen verwickelt oder wenn sie sich gegen die ankernde Yacht beziehungsweise deren Landleinen lehnen.

Ein Bergy Bit bereitet dieser Crew Schwierigkeiten am Ankerplatz.

Bergy Bits können das Ankergeschirr ausreißen und die Yacht auf das Ufer drücken. Oder sie können an der ankernden Yacht kentern. In dem Zusammenhang will ich auch erwähnen, dass man ihnen mit dem Dingi deshalb nicht zu nahekommen sollte.

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Fazit

Eis macht einen großen Teil des Reizes der Hohen Breiten aus, aber Eis kann eben auch sehr gefährlich und zerstörerisch sein. Die verschiedenen Formen des Eises zu kennen, ist daher wichtig und jeder Eis-Segler sollte sich bereits vor Törnbeginn mit dem Thema auseinandersetzen. Denn schlussendlich bestimmen die Art und die Größe des Eises, ob es möglich ist, die Yacht durch ein Eisfeld zu bringen, oder ob die Gefahr besteht, vom Eis beschädigt zu werden.

Buchtipp der Redaktion zum Thema

Segeln in den Hohen Breiten

„Segeln in den Hohen Breiten“ von Jürgen Kirchberger ist ein umfassender Ratgeber, der alle Seereviere der Hohen Breiten von Skandinavien bis in die Arktis, Patagonien bis zur Antarktis und alle dazugehörenden Ozeanpassagen abdeckt.
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Uwe
Uwe
4 Jahren her

Danke für den tollen Artikel!!
glaub diese Passage könnte korrigiert werden:

bis zu 1/5 ihrer Masse befindet sich unter der Wasseroberfläche