Ankerpraxis: Weniger Schwojbewegungen mit dem Ankersegel

Ein Beitrag von

Ursula Münchinger

Ursula hat während ihres Studiums der Landwirtschaft die Liebe zum Segeln entdeckt. Seit 2016 lebt sie zusammen mit ihrem Partner auf dem gemeinsamen Segelboot ASSAI. Gemeinsam sind sie durch den englischen Kanal und die Biskaya gesegelt sowie von Griechenland durch die Straße von Messina und Gibraltar nach Portugal. Ursula liebt das Erkunden neuer Plätze, Schnorcheln und hat das Kochen und Backen an Bord für sich entdeckt.

Titelfoto: ©️Ursula Münchinger

Yachten schwojen am Ankerplatz in Abhängigkeit von der Bauform sehr unterschiedlich

Seit vier Jahren sind wir auf unserem Segelboot unterwegs und es liegen rund 5.000 Seemeilen in unserem Kielwasser. Wir sind bewusst nicht schnell unterwegs und ankern lieber, als in einer Marina zu liegen. Unser Schiff ist eine 44-Fuß-Moody. Einerseits eine alte Lady und andererseits ein Zappelphilipp, insbesondere vor Anker. Trotz recht großem Kiel reagiert sie auf scheinbar jede Böe und tanzt so viel hin und her, dass einem schlecht werden kann, wenn man aus dem Fenster guckt. Andere Yachtkonstruktionen, meist Langkieler, liegen hingegen stoisch wie Baumstämme vor Anker und rühren sich vergleichsweise wenig, auch in den stärksten Böen.

Auf der Suche nach Abhilfe sind wir über ein sogenanntes Ankersegel gestolpert. Unsere Nachbarn vor Anker haben ein Ankersegel und schwören darauf. Überhaupt reden sie darüber, als wäre es genauso selbstverständlich, ein Ankersegel an Bord zu haben wie einen Anker.

Die ASSAI mit Ankersegel vor Anker. ©Ursula Münchinger

Was ist ein Ankersegel und wie funktioniert es?

Ein Ankersegel ist ein kleines Segel, das entweder am Achterstag oder an der Dirk „anders herum“ gesetzt wird. Einige Segler setzen es auch fliegend am Heck. Der große Vorteil des Ankersegels ist, dass es den Bug vor Anker besser im Wind hält, indem das Heck durch das Segel weniger ausschert.

Sinn und Zweck des Ganzen ist es folglich, das Schwojen vor Anker zu verringern. Laut Werbeaussagen eines Segelmachers können die Schwojbewegungen gar um bis zu 70 Prozent verringert werden.

Besonders bei Starkwind wird das Ankersegel damit zu einem nicht zu verachtenden Sicherheitsfaktor. Weniger starkes Schwojen vor Anker bedeutet in der Folge auch, weniger starkes Einrucken in den Anker. Wer gerade an der Grenze ist, ob der Anker hält oder rutscht, der liegt mit dem Segel folglich sicherer.

Wir nutzen ein frei achtern gesetztes Starkwindsegel als Ankersegel. ©Ursula Münchinger

Auch in Buchten, in denen sich eine Windsee aufbaut, ist es von Vorteil, die Wellen von vorne nehmen zu können, anstatt dass sie durch die Schwojbewegung seitlich auf die Yacht treffen. So kann das nervtötende seitliche Geschaukel der Yacht vielleicht nicht ganz vermieden, aber zumindest verringert werden.

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Für wen ist die Anschaffung eines Ankersegels lohnenswert?

Die einen schwören darauf, die anderen belächeln das Segel. Das mag an der Bauform des eigenen Schiffes liegen. Ob das Ankersegel für eine Yacht einen Komfortgewinn bringt, hängt hauptsächlich von der Bauart des Rumpfes und der Kielform ab. Besonders Kurzkieler sowie Yachten mit Schwenkkielen und Schwertern sind anfällig für den Wind und schwojen stärker als andere Boote. Da kann das Ankersegel wertvolle Abhilfe leisten.

Tipp: Wer schon über ein kleines Starkwindsegel oder eine Sturmfock verfügt, der kann dieses Segel meistens auch als Ankersegel nutzen. Und sei es nur, um mal zu testen, wie sich das eigene Schiff damit verhält. Schließlich verhält sich jedes Boot etwas anders.

Auch wir entscheiden uns für das Ausprobieren. Unsere Nachbarn haben noch ein zweites Ankersegel an Bord und bieten uns an, dieses einmal auszutesten. Das Segel hat ungefähr die Größe einer Sturmfock. Es wurde aus einer alten Fock herausgeschnitten.

Eine Ketch braucht kein extra Segel, hier dient einfach das gereffte Besansegel als Ankersegel. ©Sönke Roever

Wie wird das Ankersegel installiert?

Zuerst sollte ein guter Platz für das Ankersegel am Heck gefunden werden und dann gilt es, die Sache ein wenig auszuprobieren, um so den optimalen Platz zu ermitteln. Wir entscheiden uns, es fliegend zu setzen. Zuerst setzen wir das Ankersegel recht tief, dann irgendwie zu hoch. Die Lösung lag schlussendlich in der Mitte.

Da wir achtern unsere Kabine haben und dort schlafen, haben wir darauf geachtet, dass die Befestigungstaue nicht am Bimini scheuern oder irgendwie an anderen Aufbauten klappern.

Bald stellen wir fest, dass es essentiell ist, das eigentliche Vorliek des Segels, also die längste Seite, die sich in diesem Anwendungsfall achtern und nicht vorn am Segel befindet, so weit wie möglich zu spannen. Dann erst spannen wir das Segel nach vorne ab. Dieses Vorgehen reduziert die Geräuschkulisse im Inneren des Bootes auf ein erträgliches Minimum.

Das Ankersegel sollte möglichst frei von Leinen, Fallen und Bimini installiert werden, um Störgeräusche zu vermeiden. ©Ursula Münchinger

Unsere Erfahrungen mit dem Ankersegel

Es funktioniert. Unsere Moody 44 bewegt sich mit gesetztem Ankersegel weniger stark hin und her. Sie tanzt zwar immer noch, aber eben nicht mehr so stark. Die Schwojbewegung ist bei unserem Boot um etwa die Hälfte reduziert. Das ist angenehm! Aber lohnt es sich deshalb, ein weiteres Segel zu erwerben und zu verstauen, wo auf unserem Fahrtenschiff doch ohnehin schon so wenig Platz vorhanden ist?

Ich finde, solange sich das Schwojen der Yacht vor Anker im Rahmen hält, scheint es doch eher fragwürdig, ob rund 200 Euro für ein speziell angefertigtes Ankersegel eine sinnvolle Investition sind. Lohnt es sich, das zusätzliche Geld auszugeben oder sollte man nicht lieber in ein gutes und großes Ankergeschirr investieren? Ein großer und schwerer Anker bringt auch mehr Sicherheit und einen ruhigen Schlaf – reduziert allerdings das Schwojen nicht.

Dazu sei ergänzt: Wenn wir in einer engen und recht vollen Bucht ankern, dann schwojt das Boot mit dem Segel anders als die Yachten ohne Ankersegel. Damit erhöht sich gegebenenfalls auch die Kollisionsgefahr. Wer eine Ketsch sein Eigen nennt, kennt den Effekt. Dort tritt er auch auf, wenn das Besansegel vor Anker gesetzt wird. Das hat den gleichen Effekt.

An diesem Ankerplatz hat nur eine Yacht ein Ankersegel gesetzt. Dabei gilt es, den veränderten Schwojkreis zu beobachten. ©Sönke Roever

In der Blauwasserszene gehen die Meinungen zum Ankersegel weit auseinander und sind sehr subjektiv. Manche sagen, dass Ankersegel nur bei großen und schweren Schiffen etwas bringen, weil nur dort die Drehbewegung der Yacht durch den Gegendruck des Segels beim Schwojen gebremst wird. Mehr noch: Einige Segler führen an, dass das Ankersegel bei Schiffen unter 15 Metern Länge die Schwojbewegung eher verstärken und beschleunigen kann. Das deckt sich nicht mit unseren Erfahrungen. Unser Boot hat eine Länge von 13,50 Metern und hat mit Ankersegel eine durchaus verringerte Drehbewegung.

Auf dieser Ketsch wird das Besansegel als Ankersegel genutzt. ©Sönke Roever

Fazit

Ich denke, es wird klar, dass der Effekt, den das Ankersegel, hat von vielen Faktoren abhängig ist und sich keine allgemeingültige Aussage finden lässt. Es ist eine Frage des Schiffstyps, der Schiffsgröße und der Kielform. Eigner, deren Boote kaum schwojen, brauchen sich eher keine Gedanken um ein Ankersegel zu machen. Hat man aber ein Boot mit Kurzkiel, Schwenkkiel oder Schwert, das tendenziell anfällig für Böen ist, lohnt es sich auszuprobieren, ob das Ankersegel mehr Komfort bringt.

Wir haben uns dafür entschieden, für unsere Reise in eine Sturmfock zu investieren. Wenn wir ankern, können wir die Sturmfock dann zusätzlich als Ankersegel nutzen. So hat das zusätzliche Gewicht und der zusätzlich gebrauchte Platz zwei Nutzungsformen. Für uns ein klarer Vorteil.

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Alexander Rakhlin
Alexander Rakhlin
3 Jahren her

Guten Tag! Ich hätte eine Frage: haben Sie schon mit Ihrem Ankersegel bei einem Sturmwind geankert und hat es geklappt? Ich frage es, weil und Folgendes passiert ist: nachdem der Wind zugenommen und sehr stark geworden ist, hat er immer tendiert, das Ankersegel zu fassen (die Schenkbewegungen des Bootes waren zwar kleiner, aber die waren da). Dies hat dazu geführt, dass eine Böe das Boot mit der der Hilfe vom Ankersegel zu stark bewegte, so dass der Anker nicht mehr hielt (sonst hält der Anker immer, auch bei Sturm).

Jens Jansen
Jens Jansen
3 Jahren her

Hallo Alexander, nach langjähriger Praxis mit und ohne Ankersegel zu Ankern, kann ich dir folgende Wirkung des Ankersegels beschreiben. Bei einem 34 f Boot mit Kurzkiel und 1,8 m Tiefgang, das eine geringe bis mittlere Neigung zum “Hin- und Hersegeln” besitzt, kann man Folgendes feststellen. Ohne Ankersegel Bei Winden bis ca. 15 kn schwoit die Yacht von 45′ Bb zu 45′ Stb und bewegt sich weniger als die halbe Schiffslänge in Richtung Anker. Bei Winden um 25 kn schwoit die Yacht von 40′ Bb zu 40′ Stb und bewegt sich weniger als eine viertel Schiffslänge in Richtung Anker. Bei Winden… Mehr lesen »

twskip
twskip
3 Jahren her

Moin !

Das Sturmsegel als Ankersegel ist keine gute Idee : UV-Licht läßt das Sturmsegel brüchig werden.
Wenn es dann wirklich bei viel Wind gebraucht wird kann es den vielen Wind nicht mehr ab…
Mit Zitronen gehandelt.
Ein Sturmsegel ist ein Sturmsegel.
Ein Ankersegel ist ein Ankersegel.
LG

Frank Rettig
Frank Rettig
3 Jahren her

Bei (unten) doppeltem Achterstag ist es auch den Versuch wert, dazwischen ein sehr kleines Ankersegel quer zu spannen. Bei unserem 10 t schweren kiellosen Boot reichte ca. 1 qm.

Volker Behrens
Volker Behrens
3 Jahren her

Gibt es Erfahrungen mit doppelten Ankersegeln? Die habe ich im Sommer des öfteren in Schweden gesehen. Sie sind am Vorliek des Ankersegels verbunden und nach Achtern zu beiden Seiten ausgestellt.

Markus Neunert
Markus Neunert
3 Jahren her

Bei unserem Schiff haben die Versuche mit einem Ankersegel keine Verringerung des Schwojens gebracht, eher im Gegenteil. Das Schiff ist ein Kurzkieler, 10 x 3 x 1,7 m, 5,5 to, Ruder mit Skeg. Bei böigem Wind dreht der Bug zufällig zur einen oder andern Seite schnell weg, dann steht das Schiff eine Zeit lang fast quer zum Wind, richtet sich langsam wieder aus, und bei der nächsten Bö “klappt es zur anderen Seite um”. Die sich ergebende 8-förmige Bewegung wird nach meinem Eindruck durch ein Ankersegel sogar noch größer, da das Ankersegel kaum das Heck herumdreht, aber wegen der schrägen… Mehr lesen »