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Die Diplom-Pädagogin ist zusammen mit ihrem Mann Jonathan von 2013 bis 2019 auf der 35-Fuß-Stahlyacht INTI von Deutschland bis zu den Marshallinseln im Pazifik gesegelt – eine Reise über 21.000 Seemeilen. Claudia liebt das Leben über Wasser ebenso wie das unter Wasser, das nächtliche Segeln unter dem unendlichen Firmament, die Kunst der Improvisation und die Begegnungen mit Menschen jeglicher Couleur.
Titelfoto: ©Outer Rim
Die See ruft! Die Schule auch.
„Kommt ihr auf einen Kaffee rüber?“, frage ich die Crew eines Bootes, das mit dem Dingi an uns vorbeirast. „Nein, wir holen nur schnell ein Baguette zum Frühstück, dann geht die Bordschule los!“ Ein Szenario, das keine Seltenheit ist. Im Gegenteil: Wir erleben es oft auf unserer sechsjährigen Segelreise von Berlin nach Mikronesien.
Für den Spagat zwischen Segeln und Schulpflicht gibt es verschiedene Herangehensweisen. Mal treffen wir auf Familien, die es gewagt haben, mit Kindern im schulpflichtigen Alter loszusegeln, und sich der Herausforderung stellen, sie selbst zu unterrichten. Umgekehrt treffen wir auch auf Crews, die ihre Reise erst antreten, als die Kinder die Schule bereits beendet haben. Sie sind allerdings teilweise traurig darüber, dass sie ihren Traum erst so spät im Leben verwirklichen können. Andere Crews wiederum brechen ihre Reise ab, da die Kinder an Bord in einem Alter sind, in welchem sie ihre Kumpels vermissen und diese auch als verlässliche Gruppe brauchen. Und dann gibt es noch jene, die umkehren, wenn ihre Kinder das schulpflichtige Alter erreichen.
In diesem Beitrag soll es um jene Crews gehen, die ihre Kinder an Bord unterrichten. Ein paar Monate, ein Jahr, ein paar Jahre. Wie gelingt das? Bringt das womöglich ein Defizit mit sich, wenn Kinder nicht in der Regelschule unterrichtet werden? Unsere Bekanntschaften mit Familien auf Langfahrt sagen unisono: Nein, denn den meisten Bootskindern ist eines gemein: Sie sind sehr sozial und flexibel, was den Kontakt zu Menschen angeht. Sie sprechen mit Leichtigkeit andere Sprachen und können gut ihre Erfahrungen artikulieren. Stolz berichten Eltern über die Interessen, die ihre Kinder während der Reise ausbilden. Sei es die Technik des Segelns, das Wissen um die Elektrik des Außenborders, das Schnorcheln durch die Welt der Fische, das Stand-Up-Paddeln, Kochen und Backen, Knoten oder die Bootsverschönerung.
Die Entscheidung, sein Kind selbst zu unterrichten, ist juristisch nicht ganz einfach
Anders als beispielsweise in Frankreich ist Bildung in Deutschland Ländersache. Während Frankreich reisenden Familien Unterstützung mittels der Bereitstellung vielfältiger Unterrichtsmaterialien anbietet und Prüfungen von unterwegs absolviert werden können, gelten in Deutschland andere Regeln. Mehr noch: In Deutschland ist so etwas nicht vorgesehen. Erschwerend kommt hinzu, dass jedes Bundesland hierzu eigene Regelungen hat.
Länderübergreifend gilt in Deutschland eine neunjährige Vollzeitschulpflicht, in Bremen, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg beträgt sie sogar 10 Jahre. Die Schulpflicht beginnt im Alter von 5 bis 7 Jahren und wird streng gehandhabt. Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer betrachten jedoch Einzelfälle genau und haben bei einer Schulbefreiung einen Ermessensspielraum. Sie können am besten abschätzen, auf welchem schulischen Stand die Kinder sind und inwieweit sie von einer längeren Reise profitieren können. Dennoch variiert die Schulbefreiung stark von den Gesetzen der einzelnen Bundesländer, der Einstellung der Schulleitung und den Schulkonzepten.
Den richtigen Weg durch das Dickicht der Vorschriften und Regeln zu finden, ist für Eltern, die mit ihren Kindern während der Schulzeit in See stechen, oft eine Herausforderung. Wie angedeutet spielen sehr viele verschiedene Parameter eine Rolle und es würde aufgrund der Komplexität hier den Rahmen sprengen, näher darauf einzugehen. Stattdessen kommen vier Crews in Interviews zu Wort. Sie alle waren auf unterschiedlichen Reisen in unterschiedlichen Konstellationen unterwegs und dennoch haben sie eines gemein: Ihre Berichte zeigen, dass es sich durchaus lohnt, das Wagnis Schule an Bord anzugehen, und dass es funktionieren kann.
Schule an Bord der Segelyacht POLARWIND
Die Crew besteht aus den Eltern Jutta und Osvaldo und den Kindern Theo (3. bis 5. Klasse an Bord) und Antonia (1. und 2. Klasse an Bord). Jutta ist Lehrerin und Osvaldo Reiseverkehrskaufmann.
Die Route im Steckbrief: Start in Griechenland. Mittelmeer, Kap Verden, Atlantiküberquerung, Brasilien, Uruguay, Argentinien, Kap Hoorn, Feuerland, Antarktis, Chilenische Kanäle, Osterinsel, Französisch-Polynesien, Samoa, Fidschi, Vanuatu, Papua-Neuguinea, Indonesien, Singapur, Malaysia, Thailand, Sri Lanka, Indien, Dschibuti, Rotes Meer und zurück ins Mittelmeer. Insgesamt sechs Jahre.
Wie konntet ihr eure Kinder vom deutschen Schulsystem befreien?
Wir haben sie in Deutschland komplett abgemeldet.
Hattet ihr einen Lehrplan und konntet danach unterrichten?
Wir haben uns am Lehrplan von Nordrhein-Westfahlen orientiert, uns aber auch die Freiheit genommen, an Themen zu arbeiten, die mit unserem unmittelbaren Leben an Bord und den bereisten Ländern zu tun hatten. Beispielsweise haben beide Kinder in Französisch-Polynesien die französische Sprache gelernt. Dazu haben sie über einen langen Zeitraum an ihren Reisetagebüchern gearbeitet, viel über Länder oder das Wetter gelernt. Aber natürlich auch knoten, ankern, backen oder löten, weil das zum Bordalltag dazu gehörte.
Unterrichtsmaterialien haben wir aus Deutschland mitgenommen, uns schicken lassen, aus dem Internet bezogen und viel – den aktuellen Themen entsprechend – selbst entworfen.
Prüfungen mussten Antonia und Theo nicht machen, wir haben viel mit Selbsteinschätzungsbögen gearbeitet, die Jutta als Lehrerin selbst erarbeitet hat, die aber auch auf Webseiten von Schulen oder allgemein im Internet heruntergeladen werden können. Am Ende jeden Schuljahres hat jedes Kind von Jutta einen ausführlichen Bericht (Rückmeldebogen) bekommen, über die Inhalte des letzten Schuljahres, Gelerntes, aber auch konkrete Hinweise darüber, was wiederholt und vertieft werden muss.
Wie war die Motivation bei euch und euren Kindern für den Unterricht an Bord?
Die Motivation war groß, es war von Anfang an klar, dass Schule dazu gehört und gemacht werden muss. Besonders Theo hat sehr eigenständig und selbstorganisiert gearbeitet. Er hat beispielsweise freiwillig morgens früh angefangen, um fertig zu sein, bevor es in den Tropen zu heiß wurde. Seine kleine Schwester hat an Bord erste Schulerfahrungen gesammelt und sich dabei viel Positives von ihrem großen Bruder abgeguckt. So zum Beispiel die Selbstverständlichkeit, dass Schule stattfindet, die Disziplin zum eigenverantwortlichen Lernen und dass das Lernen am wichtigsten für einen selbst und nicht für andere ist.
Einen richtigen Stundenplan hatten wir nicht, wir haben tage- und wochenweise gemeinsam Schwerpunkte festgelegt und mit einem Lerntagebuch gearbeitet. Theo erstellte sich sein eigenes Tagebuch, in welchem er festhielt, was er schon erarbeitet hat, was noch ansteht, was schwerfiel. Er reflektierte hier selbst seinen Lernprozess.
Mathe, Englisch, Deutsch und Spanisch (Zweitsprache der Kinder) standen immer auf dem Lehrplan. Andere Fächer fanden nach Möglichkeiten und Bedarf statt. Auch weil sich die Schultage mehr an Segel- und Ankertagen orientiert haben und nicht nach Ferien oder Wochenzeiten ausgerichtet waren. Und: Bei zu viel Seegang gab es keine Schule oder nur mündlichen Unterricht – an Ankerplätzen oder in Häfen haben wir das dann wieder aufgeholt.
Wie gestaltete sich der Wiedereinstieg in die Regelschule?
Zum Glück ganz einfach, beide Kinder gehen sehr gern in die Schule, kommen sehr gut klar, sowohl mit den anderen Kindern als auch dem schulischen Lernen. Schwierig war einzig und allein zu Beginn der Schulweg: Fahrrad fahren konnten sie noch, aber Verkehrsregeln beachten, wie etwa Handzeichen geben oder einen Schulterblick beim Linksabbiegen machen, mussten wir ihnen erst (ganz schnell) beibringen 🙂
Hat die Reise besondere Fähigkeiten bei euren Kindern geweckt, die ihr in den Bordunterricht integrieren konntet?
Auf jeden Fall, sie haben natürlich viel fürs Leben gelernt, besonders Sprachen und das Zugehen auf andere Menschen. Sie haben die Gewissheit, dass man überall auf der Welt, unabhängig von gemeinsamen Sprachen, Kinder zum Spielen findet – das hilft ihnen enorm dabei, nun neue Kontakte zu knüpfen. Außerdem können sie sich sehr gut selbst einschätzen. Sie kennen ihre Stärken und Schwächen.
Antonia war anfangs noch zu klein, um an Bord Schule zu machen. Als sie fünf Jahre alt war, wurde es ihr irgendwann zu langweilig allein zu spielen oder zu malen, wenn ihr großer Bruder Schule machte. Und so hat sie sich sozusagen selbst eingeschult: Sie wollte unbedingt anfangen. Wir waren gerade in den Kanälen Feuerlands unterwegs, weitab jeglicher Zivilisation, aber zum Glück hatten wir eine Schultüte vorsorglich an Bord – die haben wir dann über Nacht zusammengebastelt und am nächsten Tag Einschulung in der Wildnis gefeiert, das war sehr besonders.
Ein paar Mal haben wir mit Kindern anderer Yachten gemeinsam Schule gemacht, weil wir längere Zeit am gleichen Ort waren und uns dann auch wieder getroffen haben: 10 Kinder aus drei Ländern im Alter von 5 bis 15, das hat allen richtig Spaß gemacht, das war in der Vorweihnachtszeit interkulturelles Lernen „live“. Beispielsweise haben die deutschen Kinder auf Englisch Nikolaus-Geschichten erzählt, die mexikanischen Kinder, ebenfalls auf Englisch, von Weihnachtsbräuchen aus ihrem Land berichtet und der Nikolaus kam dann höchstpersönlich nach Singapur (Osvaldo hat ihn gespielt).
Mehr zur Reise unter: www.polarwind-expeditions.com
Schule an Bord der Segelyacht GEPETHO
Die Eltern Bianca und Sascha Röhle sind Rechtsanwälte mit eigener Kanzlei. Sie waren mit ihren Kindern Julius (11) und Marlon (15) an Bord einer 44 Fuß-Aluminium-Yacht vom Typ Marimba ein Jahr lang unterwegs. Ihre Route: Ostsee, NOK, Ärmelkanal, Galicien, Portugal, Porto Santo und Madeira, Kanaren, mit einer Rallye nach St. Lucia, karibische Inseln bis Puerto Rico, zurück über die Azoren und Spanien, Ärmelkanal, NOK, Ostsee.
Wie konntet ihr eure Kinder vom deutschen Schulsystem befreien?
Wir haben unseren Wohnsitz in Deutschland aufgehoben, womit auch die Schulpflicht in Deutschland entfiel. Da wir aufgrund unserer weiterhin bestehenden Kanzlei unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig geblieben sind, bestand weiterhin auch ein Anspruch auf Kindergeld, welchen wir allerdings per Klage durchsetzen mussten.
Hattet ihr einen Lehrplan und konntet danach unterrichten?
Es gab keinen extra ausgearbeiteten Unterrichtsplan. Wir haben uns einfach die Schulbücher des entsprechenden Schuljahres gekauft und uns an den Bildungsstandards des Kultusministeriums Niedersachsen orientiert. Unterwegs haben wir dann täglich zwei bis drei Stunden für den Unterricht aufgewendet. Dabei haben wir uns zumeist fünf bis sieben Tage ein Schulfach vorgenommen und Kapitel für Kapitel im jeweiligen Lernmaterial abgearbeitet. Die Jungs mussten sich das Thema dafür zunächst durchlesen, selbständig erarbeiten und anschließend haben wir abgefragt und gemeinsame Übungen dazu gemacht. Prüfungen gab es nicht.
Wir haben keine Ferien im eigentlichen Sinne gemacht. Unterrichtsfrei waren die Tage, an denen wir längere Strecken zurückgelegt haben, und die Tage, an denen wir Ausflüge gemacht haben. Nach einem Drittel der Reisezeit hatten wir bereits die Hälfte des Lernstoffs geschafft, obwohl wir annähernd jede Aufgabe durchgearbeitet haben.
Wie war die Motivation bei euch und euren Kindern für den Unterricht an Bord?
Da der Schulunterricht an Bord unsere einzige Aufgabe war, die wir uns auferlegt hatten, gestaltete sich der Unterricht an Bord sehr effizient und zumeist auch entspannt und harmonisch. Natürlich gab es, wie zu Hause auch, mal Momente akuter Unlust, welche dann einige Überzeugungsarbeit und Konsequenz erforderten.
Es ist für alle Beteiligten nicht einfach, wenn die Eltern bei schönstem Wetter, toller Umgebung und diversen attraktiven Alternativangeboten der Freizeitgestaltung relativ konsequent die Einhaltung der Schulzeiten einfordern müssen. Dennoch: Der Spaß, den wir auch beim Unterricht an Bord hatten, und die Effizienz unserer gemeinsamen Lernzeit werden von unseren Jungs, auch anderthalb Jahre nach Beendigung der Reise, noch immer wertgeschätzt.
Wie gestaltete sich der Wiedereinstieg in die Regelschule?
Der Wiedereinstieg war unproblematisch. Die Jungs sind an ihre alte Schule zurückgekehrt und wurden dort auch sehr freundlich wieder aufgenommen. Es hat keinerlei Probleme gegeben und sich schnell gezeigt, dass Julius und Marlon den zuvor selbst erlernten Stoff gut beherrschten. Julius konnte dabei einfach mit der 7. Klasse weitermachen, während Marlon die 10. Klasse wiederholen musste, da für den Eintritt in die Oberstufe ein Abschlusszeugnis der 10. Klasse erforderlich ist, was wir ihm natürlich nicht ausstellen konnten.
Hat die Reise besondere Fähigkeiten bei euren Kindern geweckt, die ihr in den Bordunterricht integrieren konntet?
Julius und Marlon haben auf der Reise gelernt, sich selbständig Themen zu erarbeiten. Durch die ständigen neuen Eindrücke und Erlebnisse und die gemeinsame Zeit konnten oft Querverbindungen zu dem bearbeiteten Schulstoff hergestellt werden. Damit wurden das Lernen und Wiederholen des Schulstoffs ständiger und positiver Begleiter unserer Reise. Das Thema Vulkanismus auf Lanzarote oder Madeira bei Exkursionen wahrhaftig zu erleben und zu begreifen, ist einfach spannender und einprägsamer als nur darüber zu lesen. Das gilt für alle Schulfächer, egal ob Politik, Geschichte, Biologie …
Spannend zu sehen war, dass Marlon und Julius, anders als in der Regelschule, schulfachübergreifend gelernt haben und so beispielweise die Themen Ökologie und Umweltschutz gerade nicht nur in dem Fach Biologie betrachtet haben, sondern auch in den Fächern Spanisch und Englisch, weil wir entsprechende spanische Museen besucht haben.
Wir diskutierten auch zum Thema Politik, welche Auswirkungen und Handlungsspielräume es gibt. Das Thema „Wahlen“ war auch oft aktuell, weil wir mit so vielen unterschiedlichen Nationalitäten zusammenkamen und die Probleme und Bedürfnisse in den Ländern sehr unterschiedlich sind. Besonders anschaulich war dies in Dominica, wo wir zur Zeit der Wahlen waren. Da konnte man den ganzen Tag im Radio und auch auf den Straßen mit den Menschen die Debatten verfolgen.
Schlussendlich können wir zu unserer Reise mit Schule an Bord sagen: Wir würden es jederzeit wieder genau so machen und können andere Familien nur ermutigen, sich auch eine so schöne gemeinsame Zeit zu gönnen. Marlon und Julius haben in einem Zeitungsinterview nach der Reise gesagt: „Unsere Eltern sind überhaupt die besseren Lehrer als die daheim.“ Ein besseres Lob hätten wir nicht bekommen können.
Mehr zur Reise unter: www.gepetho-goes-barefoot.de
Schule an Bord der Segelyacht OUTER-RIM
An Bord der Yacht vom Typ Discovery 57 waren neben den Eltern Thomas und Natalya auch ihre vier Kinder. Franka und Vsevolod sind Zwillinge und waren bei Reisebeginn 7 Jahre alt. Die Geschwister Talora (5 Jahre) und Arvid (9 Monate) waren ebenfalls mit von der Partie. Vor der Reise war Thomas Geschäftsführer und Vorstand verschiedener Firmen in Umbruchsituationen und mit der Neustrukturierung betraut. Natalya hat als Pharmazeutin gearbeitet.
Zur Route sagt die Crew: Erste Erfahrungen als Segler auf unserem frisch gekauften Schiff haben wir auf den Kanalinseln gesammelt und Kinderkrankheiten am Schiff beseitigt. Von dort aus ging es nonstop nach Gibraltar – sieben Tage, in denen wir uns als Crew und das Schiff austesten konnten. Sowas wie eine Feuertaufe! Alles ist gut gelaufen, so dass wir uns entschieden weiter zu segeln. Marokko, Kanaren, Kapverden, Senegal, in Gambia den Fluss hinauf, bis es nicht mehr weiter ging. Dann im April 2015 über den Atlantik nach Brasilien. Von dort nach Uruguay, Argentinien. Durch die patagonischen Kanäle bis nach Puerto Montt in Chile. Die Westküste von Südamerika bis Ecuador. Dann Galapagos, Marquesas, Tuamotos, Gesellschaftsinseln, Cook Islands, Niue, Tonga, Fidschi, Vanuatu, Neukaledonien und letztlich nach Sydney. Dort haben wir dann das Schiff verkauft. Anschließend ging es noch fast ein Jahr mit Wohnmobil, Auto, Flugzeug etc. durch einige Länder einschließlich Neuseeland, Myanmar, Japan, China. Insgesamt waren wir vier Jahre unterwegs.
Wie konntet ihr eure Kinder vom deutschen Schulsystem befreien?
Die Kleinen waren noch nicht schulpflichtig. Die Großen haben wir nach Absprache mit dem Grundschuldirektor aus der Schule genommen. Er hat bis zum Ende des laufenden Jahres einfach ein Auge zugedrückt. Danach waren die Zwillinge bei der ILS Fernschule angemeldet, die als Ersatzschule gilt.
Hattet ihr einen Lehrplan und konntet danach unterrichten?
Die ILS versendet zu jedem Halbjahr die nötigen Schulbücher, Arbeitshefte und sonstige Unterrichtsmaterialien. Damit hatten wir einen guten Rahmen für den Unterricht, den sich unsere Großen auch weitgehend selbst gestaltet haben. Unsere kleinere Tochter haben wir dann im Schreiben und Rechnen auf Grundschulniveau selbst unterrichtet.
Wie war die Motivation bei euch und euren Kindern für den Unterricht an Bord?
Vor Anker liegend bestand unser Tag meist aus Bordunterricht am Vormittag und Freizeit und Abenteuer an Land am Nachmittag. Nach den ersten Tagen der Seekrankheit konnte auch auf längeren Törns Schule gemacht werden, allerdings sehr flexibel und sporadisch. Da aber der Bordunterricht deutlich effizienter ist als der Präsenzunterricht in der Regelschule, war dieser Aufwand auch mehr als ausreichend, um die Anforderungen des Lehrplans zu erfüllen.
Generell sank die Eigenmotivation unserer Kinder zusehends mit Dauer der Reise. Die Ablenkungen durch die Umgebung oder andere Seglerkinder in der Nähe war häufig – insbesondere im Pazifik – einfach zu groß. Weiterhin fehlte der Vergleich mit anderen Kindern der gleichen Altersgruppe und somit der Ansporn.
Wie gestaltete sich der Wiedereinstieg in die Regelschule?
Zurück in Deutschland waren wir dann zum Schulstart Anfang September. Das lief überraschend reibungslos. Kaum zehn Tage nach unserer Rückkehr saßen alle Kinder in Klassen der Regelschule und hatten auch keine Probleme, den Anschluss zu halten. Klar gab es einige Lücken, die aber schnell geschlossen waren. Insbesondere das System „Unterricht auf Probe“ hat sich da bewährt. Das erste halbe Jahr zählt dabei nicht zum Notenschnitt und unsere Kinder hatten somit Zeit, Lücken zu identifizieren und zu schließen. Sehr hilfreich war da auch die Erfahrung der Bordschule, sich eigenständig Wissen anzueignen.
Hat die Reise besondere Fähigkeiten bei euren Kindern geweckt, die ihr in den Bordunterricht integrieren konntet?
Das ist schwierig zu beantworten. Selbstverständlich weckt eine solche Reise in entlegene und „fremde“ Länder ganz unterschiedliche Fähigkeiten, allen voran das Interesse an Neuem/Fremdem, die Offenheit gegenüber Anderen und den Entdeckungsdrang. In den Alltag der Bordschule lässt sich das aber schwer integrieren.
Mehr zur Reise unter: outer-rim.co
Schule an Bord der Segelyacht KALIBU
Sechs Jahre lang war die Crew der KALIBU an Bord einer 45 Fuß langen Ovni (Baujahr 1987) auf Weltumsegelung unterwegs. An Bord die Eltern Thomas und Birgit (beide Hochschullehrer) sowie die Kinder Zoë und Leonard. Sie waren 10 und 9 Jahre alt, als die Familie sich aufmachte, vom Mittelmeer über die Kanaren, die Kapverden und Westafrika den südlichen Atlantik zu erreichen.
Weiter beschreiben sie ihre Route so: Die Route führte an der sturmreichen argentinischen Küste entlang nach Süden zum Beagle-Kanal, vorbei an einer spektakulären Tierwelt und zu Gletschern, die direkt ins Meer fließen. Mit dem Humboldtstrom sind wir dann wieder Richtung Norden gesegelt, haben den Pazifik überquert, in Neuseeland unsere KALIBU wieder fit gemacht, um danach über Australien und Indonesien nach Thailand zu segeln. Mit einem kleinen Bogen um die Südspitze von Sri Lanka und Indien folgten wir dann der kürzesten Route, am Horn von Afrika vorbei, durch das Tor der Tränen (die Meerenge Bab al-Mandab) und schließlich gegen die vorherrschenden starken Winde im Roten Meer zum Suezkanal, der uns zurück ins Mittelmeer brachte.
Wie konntet ihr eure Kinder vom deutschen Schulsystem befreien?
Unsere Kinder gingen in eine Elterninitiativschule, eine sogenannte Freie Schule. Dort wurde nach Montessori und reformpädagogischen Gesichtspunkten unterrichtet. Der Schulträger war ein eingetragener Verein, die Lehrer und Erzieher waren bei dem Verein angestellt. Thomas war einmal Vorsitzender des Vereins und so über drei Jahre wöchentlich mit den Abläufen in der Schule, besonders dem Personal und den Finanzen, beschäftigt.
Wir sind beide als Hochschullehrer tätig gewesen und haben pädagogische Erfahrung. Bei der Vorbereitung der Reise haben wir die Schule einbezogen. Wir haben ein pädagogisches Konzept mit dem Titel „Auf den Spuren Darwins um die Welt“ erarbeitet. Das Konzept hat die Schulleiterin mit dem Antrag auf Befreiung von der Schulpflicht eingereicht. Zwei Wochen später kam ein Schreiben von der Schulbehörde, dass unsere Kinder für die Dauer des Auslandsaufenthaltes von der Schulpflicht befreit sind.
Hattet ihr einen Lehrplan und konntet ihr danach unterrichten?
Wir hatten am Anfang einen eigenen sehr groben Lehrplan, der sehr frei gestaltet war und in der Folge schlussendlich nicht funktionierte. Die Kinder wollten lieber einen Unterrichtsplan mit klar strukturierten Fächern und zugehörigen Zeiten. Den haben wir dann gemeinsam erarbeitet. Erst gab es drei Einheiten mit je 45 Min pro Tag, außer bei Landreisen und Überfahrten, da haben wir nicht unterrichtet. Später erweiterte sich der Bordunterricht auf vier Einheiten pro Tag. Birgit war die Schuldirektorin und die Fächer haben wir uns aufgeteilt.
Der Lehrplan richtete sich nach den Schulbüchern, die wir gebraucht gekauft hatten. In den Büchern gab es Aufgaben zur Überprüfung der Leistungen, die wir in der Regel als Test geschrieben haben. Da gab es Punkte, wie bei einer Klausur. Im weiteren Verlauf des Törns gab es die Schulbücher zunehmend auch auf einem Tablet – eingescannt oder gekauft. In einigen Fächern haben die Kinder auch Aufsätze geschrieben – beispielsweise in Geschichte. Die Ergebnisse der „Tests“ haben wir bewusst nicht zu einem Zeugnis zusammengefasst, sondern nur einzeln bewertet, quasi als unmittelbares Feedback. Die Kinder waren vorher auf einer Elterninitiativ-Schule und kannten ein Notensystem noch nicht und wir hielten Noten in der Situation aus pädagogischen Gründen für wenig zielführend. Außerdem gab es regelmäßig Hausaufgaben.
Wie war die Motivation bei euch und euren Kindern für den Unterricht an Bord?
Die Motivation war hoch, der Unterricht gab den Tagen einen Rhythmus und hat meistens auch Spaß gemacht. Schwierig war es am Anfang, als Lehrer akzeptiert zu werden. Wie in der Regelschule haben unsere Kinder zunächst auch unsere Grenzen testen wollen und sich allerhand Ablenkung vom Unterricht einfallen lassen. Nach einem halben Jahr wurde der Rollenwechsel in beide Richtungen zur Gewohnheit. Die schwierigsten Fächer für uns alle waren Mathe, Physik und Chemie.
Der Unterricht fand auch am Ankerplatz statt. Auf See wurde kein formaler Unterricht gemacht, unter anderem, weil Zoë und Birgit oft seekrank waren. Auf Landreisen gab es manchmal Unterricht, meistens Sprachen, damit der Lernfluss blieb. Sonst haben wir jeden Tag außer Samstag und Sonntag unterrichtet. Die erste Stunde war immer Mathematik, gefolgt von 2–3 Stunden Sprachen, Deutsch, Kunst, Geschichte und Naturwissenschaften.
Wie gestaltete sich der Wiedereinstieg in die Regelschule?
Problemlos. Wir haben von unterwegs Berliner Schulen mit Sprachorientierung angeschrieben und die Kinder wurden ohne Weiteres in ihrem Jahrgang in einem bilingualen Zweig eines Gymnasiums aufgenommen. Mit der Schule kommen sie sehr gut zurecht, sind engagiert und sind mittlerweile im Gut- bis Sehr-Gut-Bereich unterwegs.
Hat die Reise besondere Fähigkeiten bei euren Kindern geweckt, die ihr in den Bordunterricht integrieren konntet?
Wir kommen als Familie sehr gut zurecht, auch auf engem Raum, das haben wir an Bord gelernt. Beide Kinder sind extrem geschichtsbegeistert und zudem im Erlernen von Sprachen gut. Sie sind selbstbewusst und haben keine Scheu vor Erwachsenen in einer Diskussion. Zudem sind sie offen – gerade auch neuen Bekannten gegenüber.
Interessant zu beobachten war, dass Leonard anfänglich nicht gerne Sprachen gelernt hat. Er diskutiert und redet allerdings sehr gerne. Dadurch hat er die Fremdsprachen dann doch gelernt. So ging ich (Thomas) beispielsweis eines Morgens den Steg im Yachtclub in Puerto Montt entlang und sah, wie Leo angeregt mit einem älteren Seglerfreund aus Frankreich diskutierte. Plötzlich waren die Sprachkenntnisse weniger wichtig – stattdessen stand der Drang im Vordergrund, sich einander verständlich zu machen. Mittlerweile liest Leo Fachbücher ohne Weiteres in Englisch. Es war wohl nur eine Frage der Zeit und der Törn hat dazu beigetragen.
Ein Zitat von Leonard verdeutlicht anschaulich, dass die Schule an Bord auch ihre Tücken hat. Er sagt: „Manchmal kamen wir im Mathematikunterricht nicht weiter, da im Lehrbuch für uns nicht immer alles nachvollziehbar erklärt wurde. Da bei uns nun mal keine Person an Bord anwesend war, die Mathematik studiert hatte, verstanden auch meine Eltern nicht immer sofort, wie man bestimmte Aufgaben lösen sollte. Dann setzten sie sich gemeinsam hin und versuchten, den Lösungsweg zu bestimmen. Das ging häufig sehr schnell vonstatten. Dieser Prozess war vor allem für mich als Schüler sehr interessant. So konnte ich zusehen, wie die Lehrer über einer Aufgabe schwitzten.“
Mehr zur Reise unter: www.sykalibu.de
Fazit
Seine Kinder an Bord zu unterrichten ist keine leichte Entscheidung, auch rechtlich sind einige Hürden zu nehmen. Dennoch ermöglicht der Bordunterricht mit dem damit verbundenen Reisen durch die Welt Familien einen großartigen Blick über den Tellerrand. Kinder erweitern ihren Blickwinkel, indem sie sich neue Interessen selbst erarbeiten und diese entsprechend pädagogisch an Bord vertieft werden können. Das Klassenzimmer weitet sich aus und gewinnt an Erlebnis- und Erfahrungsspielraum. Kinder lernen über Lernstoff hinaus soziale Beziehungen zu knüpfen, hierdurch aber auch ihre Grenzen kennen.
Ein wunderbarer Artikel!
Umfassend, sehr informativ und sehr lesenswert!
DANKE!
Wieder einmal ein guter Artikel… auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrung mit 2 schulpflichtigen Kindern in 3 Jahren rund Südamerika. Es muss jedoch angemerkt werden, dass es der ILS von ihrem staatlichen Auftraggeber offiziell verboten ist, reisende Kinder zu beschulen. Seit einigen Wochen werden da auch schon mal laufende Verträge mitten im Schuljahr gekündigt. Wann wird die deutsche Bürokratie endlich begreifen, dass wir Segelfamilien auf Langfahrt unseren Kindern nicht schaden?
Gruß,
Micha