20 Stunden in der Rettungsinsel: Interview Martin Daldrup (M JAMBO)

Ein Beitrag von

Sönke Roever

Sönke hat 100.000 Seemeilen Erfahrung im Kielwasser und von 2007 bis 2010 zusammen mit seiner Frau Judith die Welt umsegelt. Er veranstaltet diverse Seminare auf Bootsmessen (siehe unter Termine) und ist Autor der Bücher "Blauwassersegeln kompakt", "1200 Tage Samstag" und "Auszeit unter Segeln". Sönke ist zudem der Gründer von BLAUWASSER.DE und regelmäßig mit seiner Frau Judith und seinen Kindern auf der Gib'Sea 106 - HIPPOPOTAMUS - unterwegs.

20 Stunden in der Rettungsinsel. Ein Horrorszenario für alle Segler. Für Martin Daldrup – bekannt durch seinen YouTube-Kanal „M Jambo“ – wurde das im Südatlantik zur Realität. Im Rahmen des boot Blauwasserseminars stellte sich der Einhand-Segler mit 40.000 Seemeilen Erfahrung im Kielwasser den Fragen von Weltumsegler Sönke Roever (Gründer BLAUWASSER.DE) und berichtete von seinen Erfahrungen vom Einstieg in die Rettungsinsel bis hin zur Bergung durch den Frachter ALANIS.

Ein Bild aus guten Tagen: Martin Daldrup auf dem Atlantik. ©Martin Daldrup

Martin, vielen Dank, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst. Was ist dir passiert und wie ist es dazu gekommen?

Martin: Ich war auf dem Weg von New York nach Kapstadt unterwegs und hatte zwei geplante Stopps auf den Azoren und auf Fernando de Noronha in Brasilien gemacht. Es lagen bereits rund 7.000 Seemeilen und 64 Tage hinter mir, es war der letzte Schlag nach Kapstadt. Ich war auf einem Am-Wind-Kurs unterwegs, die JAMBO fuhr die Wellen sanft hoch und runter. Ich hatte gerade den zweiten Kaffee getrunken, als es plötzlich fürchterlich rumste. Die Ruderwirkung war weg und sofort ging der Ruderalarm meines Navigationssystems los.

Der Track von Martin Daldrup an Bord der JAMBO über den Atlantik bis zum Untergang. ©Martin Daldrup/Predict Wind

Zunächst habe ich an Deck geschaut, konnte aber nichts feststellen. Dann wollte ich den Ruderbereich inspizieren. Dafür musste ich einmal komplett durch die Achterkabine. Da die JAMBO ein sehr kleines Boot war, war die natürlich komplett zugestaut. Da musste ich erstmal freiräumen und arbeitete mich da so durch.

Auf halber Strecke hörte ich Wasserrauschen. Als ich mich zum Salon umdrehte, sah ich schon das Wasser über die Bodenbretter kommen. Ich habe dann sofort die 12-Volt-Bilgepumpe angeschmissen. Nach weiteren ein bis zwei Minuten lief meine 220-Volt-Tauchwasserpumpe, die ich über den Spannungsumwandler laufen lassen konnte. Eine dritte Wasserpumpe hatte ich in der Backskiste verstaut. Als ich diese einsatzbereit hatte, stand das Wasser bereits 30 Zentimeter höher. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass die dritte Pumpe auch nicht helfen würde und der Sink-Vorgang sehr schnell vonstattenging. Innerhalb von Millisekunden ist die Entscheidung gefallen, das Boot aufzugeben und mich nur noch um mein eigenes Leben zu kümmern. Da habe ich dann die Rettungsinsel gegriffen und sie bereit gemacht. Als sie dann nach rund 15 bis 20 Sekunden aufgeblasen war, fiel mir schon ein Stein vom Herzen.

Segelyacht JAMBO. ©Martin Daldrup

Wie waren die Wetterbedingungen zu der Zeit, als du entschieden hast, in die Rettungsinsel zu steigen?

Martin: Es waren normale Bedingungen für den Südatlantik. Ich hatte um die 20 Knoten Wind, also Windstärke fünf bis sechs und der Seegang lag bei einer Höhe von drei bis vier Metern. Ich war sehr froh, eine Rettungsinsel zu haben, die für Schwerwetter geeignet ist. Mit Kentersäcken und Überrollbügel.

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Wie ging es weiter, nachdem du die Rettungsinsel aufgeblasen hattest?

Martin: Ich habe dann erstmal eine WhatsApp-Nachricht geschrieben. Ich hatte Starlink an Bord und das hat auf dem Ozean super funktioniert. Ich wusste, dass es ein Wettlauf mit der Zeit war. So lange ich noch Batterie-Spannung hatte, so lange konnte ich die Technik nutzen. Ich habe dann Nachrichten an meinen Freund Chris und meine Lebensgefährtin Anke geschrieben. Das waren die beiden, mit denen ich immer in Kontakt war. Anke hat dann Bremen Rescue angerufen und informiert. Die Seenotretter haben daraufhin die Rettungskette ausgelöst.

Martin Daldrups Ausblick aus der Rettungsinsel. ©Martin Daldrup

Du hast dann die Rettungsinsel gepackt. Was hast du alles mitgenommen?

Martin: Ich habe einen Rucksack mit wichtigen Dingen. Darin waren zum Beispiel die Festplatten für meine YouTube-Videos. Dann habe ich noch die Sachen gegriffen, die ich brauchte, die aber auch noch im Einsatz waren. Das waren die EPIRB, die ich auch sofort ausgelöst habe und zwei Fünf-Liter-Kanister Trinkwasser. Außerdem habe ich in den Kühlschrank gegriffen und Joghurts und Nudeln vom Vortag rausgenommen. In den Rucksack habe ich dann zusätzlich noch Tablet, Kamera, Smartphone, Satelliten-Kommunikation (IridiumGo) und zwei Powerbanks mit je 30.000 Milliampere-Stunden gepackt. Ach ja, und eine Brille, weil ich eine Lesebrille brauche. Meinen Reisepass hatte ich auch in dem Rucksack, das habe ich dann alles in die Rettungsinsel geschafft.

Mit dem Nötigsten auf engem Raum in der Rettungsinsel. ©Martin Daldrup

Ganz zum Schluss, da stand das Wasser im Vorschiff schon hüfthoch, habe ich aus der Vorschiffskabine noch einen Sack mit Kleidung gegriffen.

Als du in der Insel angekommen warst, hattest du da dann Zeit darüber nachzudenken, was da eigentlich gerade passiert ist?

Martin: Ich habe die Zeit in der Rettungsinsel in drei Phasen erlebt. In der ersten rund zweistündigen Phase war ich noch mit der Kommunikation beschäftigt. Ich habe versucht, Anke über das Satellitentelefon anzurufen. Aber wir hatten eine ganz schlechte Verbindung. Ich habe dann auf Textnachrichten gewechselt. Im Hintergrund lief die Rettungskette. Irgendwann war dann klar, dass der Frachter ALANIS kommen und in rund 20 Stunden bei meiner Position sein würde. In dieser ersten Zeit war keine Zeit zum Nachdenken.

Tagsüber wurde es sehr stickig in der Rettungsinsel. ©Martin Daldrup

In der zweiten Phase kam ich dann tatsächlich etwas zur Ruhe. Da kam ich dann ins Grübeln. Allerdings habe ich nicht an den materiellen Verlust meiner Yacht gedacht. Der war unwichtig. Mir ging es nur darum, mein Leben zu retten. Zwischendurch kamen dann auch unsinnige Gedanken wie „Was ist, wenn jetzt hier die Luft aus der Insel geht und es einen Materialfehler gibt?“. Oder ganz an den Haaren herbeigezogen: „Vielleicht beißt mal ein Hai in so eine Rettungsinsel“. Solche Gedanken kamen und da war Ablenkung ganz wichtig. Ich habe mich dann beschäftigt, mit der Kamera gefilmt. Das hat mir in der Phase gut geholfen, mich abzulenken und nicht in eine Stimmungslage zu rutschen, aus der man nicht mehr rauskommt. Insgesamt verging die Zeit wahnsinnig langsam. Man denkt, 20 Stunden sind nicht viel. Aber in einer Rettungsinsel, wenn man auf Rettung wartet, vergeht die Zeit ganz, ganz langsam. Schwierig war dabei, dass ich die Insel komplett geschlossen halten musste, obwohl die Temperaturen sehr warm waren. Zunächst hatte ich die Rettungsinsel noch halb geöffnet, bis die erste Welle reinkam. Auch die Lüftungsschlitze musste ich schließen, weil immer wieder Wellen über die Rettungsinsel schlugen. Es war daher sehr stickig und unheimlich warm. Am Ende des Tages war alles, was ich an Wäsche mitgenommen hatte, komplett nass.

Durch überkommende See musste die Insel die ganze Zeit geschlossen bleiben. ©Martin Daldrup

Die dritte Phase war nachts. Jetzt passierte das Gegenteil. Ich hatte nicht erwartet, dass es auf 22 Grad südlicher Breite Anfang Oktober nachts so kalt wird. Es war bitterkalt. Ich konnte mich nicht wärmen. Die Kleidung, die ich mitgenommen hatte, war durch den erwähnten überkommenden Seegang nass. Ich habe mich dann mit diesen nassen Kleidungsstücken abgedeckt, weil das immerhin ein bisschen gewärmt hat.

Du hast gesagt, du hattest das IridiumGo mit dabei. Konntest du damit gut kommunizieren?

Martin: Ja, die Satellitenkommuikation war wichtig für mich. Ich hatte permanent Kontakt zu Anke und Chris, später dann auch zum Frachter ALANIS. Mit ihnen habe ich mehrere Textnachrichten ausgetauscht. Wir haben das Rettungsmanöver abgesprochen, hatten mehrere Varianten überlegt.

Der Frachter ALANIS. ©JannikP./marinetraffic.com

Schlussendlich haben sie mir die Lotsenleiter an der Bordwand heruntergelassen. Die bin ich dann hochgeklettert. Das war nicht so ganz einfach, bei vier Meter Wellengang. Die Insel war mal im Wellental, mal auf dem Wellenkamm. Ich habe mich in den Rhythmus reingeschwungen und die Leiter im dritten Versuch zu fassen bekommen. Da war ich mir sicher, dass ich es schaffe und bin dann da hochgeklettert.

Wie ging es dann – angekommen auf dem Frachter – weiter?

Martin: Als erstes ging es für mich auf die Krankenstation des Frachters ALANIS. Dort gab es die Erstversorgung durch den zweiten Offizier. Der hatte dafür eine Ausbildung, denn einen Arzt gibt es an Bord nicht. Als der Offizier meine Temperatur maß und von 33 Grad Celsius sprach, konnte ich es nicht glauben. Er musste nochmal messen, weil ich mich nicht unterkühlt fühlte. Mein Blutdruck war mit 90 zu 60 zudem sehr gering. Und dabei hatte ich ja noch die Phase mit Bewegung und Aktivität, als ich über die Strickleiter an Bord klettern musste. Das hat mich sehr überrascht.

Gerettet: Martin Daldrup an Bord der ALANIS. ©Martin Daldrup

Wie lange warst du an Bord des Frachters ALANIS und wo ist die Crew mit dir hingefahren?

Martin: Ich war zwei Wochen auf dem Frachtschiff ALANIS. Wir sind nach Kapstadt gefahren. Dort bin ich unheimlich herzlich aufgenommen worden. Sie hatten auch eine eigene Kabine für mich. Ich war dann der 14. Mann an Bord. Es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich war drei bis vier Mal am Tag auf der Brücke. Dort haben sie mir alle Brückenabläufe und Wachwechsel erklärt. Das war schon toll. Die Besatzung selbst bestand aus Russen und Philippinos. Aber alle sprachen Englisch. Ich habe mich mit allen immer gut verstanden, durfte auch die Fracht mit kontrollieren. Das war sehr interessant für mich.

Im Nachhinein habe ich erfahren, dass insgesamt drei Schiffe unterwegs waren, um mich zu retten. Die Crew der ALANIS war am schnellsten bei mir.

Vielen Dank Martin, dass du uns mitgenommen und deine Erfahrungen mit uns geteilt hast.

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Rudolf de Laat
Rudolf de Laat
9 Monaten her

Danke für diesen Bericht aus der Praxis – da lernt man am meisten. Herzliche Grüße aus NRW, Rudolf – Erlano –

Dirk
Dirk
9 Monaten her

Danke für diesen sehr wertvollen Bericht! Ich verfolge die Törns von Martin auf YouTube. Hoffentlich war das nicht dein letztes Schiff.
Woran genau hat es letztlich gelegen, ist das Ruder komplett abgerissen und hat ein großes Loch hinterlassen?

Jacky
Jacky
9 Monaten her

Hallo Martin, ich verfolge Deine Berichte auf youtube schon lange. Was glaubst Du, womit Du zusammengestoßen bist? Ein unter der Wasseroberfläche treibender Container? Ein Wal? Konntest Du alle Sachen aus der Rettungsinsel bergen? Hast Du die Insel aufgegeben oder kam die mit an Bord? Was sagt Deine Versicherung zu der Havarie, ich hoffe, sie regelt den Schaden unbürokratisch…

Günter
Günter
9 Monaten her

Toller Bericht und ich freue mich, dass alles gut für Dich klappte!!! VG Günter