Ciguatera – die unsichtbare Gefahr beim Angeln (Fischvergiftung)

Ein Beitrag von

Jimmy Cornell

Jimmy Cornell ist Buchautor und einer der erfahrensten Segler weltweit mit über 200.000 Seemeilen im Kielwasser. Seine unzähligen Reisen führten ihn über alle Ozeane der Welt einschließlich dreier Weltumseglungen sowie Reisen in die Antarktis, nach Patagonien, Alaska, Grönland oder durch die Nordwest-Passage. Jimmy ist zudem Organisator zahlreicher populärer Blauwasser-Rallyes.

Die Ciguatera-Fischvergiftung ist eine Herausforderung für Segler in den Tropen

Eine ernsthafte Gefahr in allen tropischen Gewässern ist die Ciguatera-Fischvergiftung. Schuld daran ist eine giftige kleine Alge, die von im Riff fischenden Fischen verdaut und im Fleisch konzentriert wird. In Französisch-Polynesien freute ich mich sehr auf die Tuamotus, wo es Fisch noch in Hülle und Fülle gibt und die Unterwasserwelt nahezu unvergleichlich ist. Auf dem Weg von den Marquesas nach Tahiti machten wir bei verschiedenen Atollen Halt.

Am attraktivsten war das unbewohnte Atoll von Tahanea. Der Pass in die Lagune besaß wundervolle Korallenformationen, und es wimmelte von Fischen. Obwohl ich mir der Gefahr einer Ciguatera-Fischvergiftung bewusst war, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und spießte ein paar kleinere Fische mit der Harpune auf. Gwenda – meine Frau – marinierte einen davon in Zitronensaft, den wir nach polynesischer Art roh aßen und briet die Filets der anderen in der Pfanne.

Mitten am Nachmittag, als wir auf einem nahegelegenen Inselchen herumwanderten, brach die Hölle aus. Beide hatten wir schreckliche Magenkrämpfe. Als wir zum Boot zurückgekehrt waren, zeigten mir weitere Symptome klar an, dass es uns nach 30 Jahren Angeln und Essen von tropischem Fisch schließlich erwischt hatte.

Fischreiches Korallenriff in der Südsee. ©️Sönke Roever

Die ersten 24 Stunden waren die schlimmsten, aber sie waren letztendlich doch nicht so schrecklich, dass wir riskieren wollten, die 300 Meilen nach Tahiti zu segeln, um Hilfe zu erbitten. Wir entschieden uns, mit dem Problem allein fertig zu werden. Ein paar Tage lang ging es uns sehr schlecht, doch ganz langsam besserte sich unser Zustand, obwohl es einen Monat brauchte, bis alle Symptome abgeklungen waren. Was sich am längsten hielt war das Prickeln der Haut und eine merkwürdige Umkehrung der Sinne: Ein heißes Getränk fühlte sich kalt an… und Eiskrem verbrannte mir den Mund.

Gebratene Fischfilets. Ob ein Fisch mit Ciguatera befallen ist, kann man nicht sehen. ©️Sönke Roever

Die Ciguatera-Fischvergiftung ist in allen tropischen Gebieten endemisch

Es gibt mehrere verschiedene Arten von Fischvergiftung, doch der am häufigsten anzutreffende Typ in den Tropen ist die so genannte Ciguatera. Die Ciguatera-Fischvergiftung ist in allen tropischen Gebieten endemisch und tritt regelmäßig zwischen den Breitengraden von 35 Grad Süd und 35 Grad Nord auf.

Nach Schätzungen gibt es jedes Jahr weltweit etwa 60.000 Fälle. Allein in der Karibik, wo die meisten Vergiftungen nördlich von Martinique vorkommen, wird von 100 Fällen pro 10.000 Menschen im Jahr berichtet. Inzwischen wurden über 400 verschiedene Fischarten ausgemacht, wobei eine Spezies in einer Gegend giftig sein kann, in der anderen jedoch nicht, ja manchmal nicht einmal in derselben Lagune. Das ist der Kern des Problems, da es keine Möglichkeit gibt, zu erkennen, welcher Fisch giftig ist und welcher nicht.

Über Fische, die sich von Korallen ernähren, gelangt das Toxin in die Nahrungskette. ©️Sönke Roever

Doch die tatsächliche Quelle des Toxins ist inzwischen bekannt: Gambierdiscus toxicus, ein so genanntes Dinoflagellat, eine einzellige Pflanze, die einer Mikroalge ähnelt. Es ist eine Kreatur aus der Tiefe des Ozeans, und normalerweise leben nur einige wenige dieser Algen in den Riffen. Doch unter bestimmten Umständen kann ihre Zahl dramatisch anwachsen.

Fische, die sich von Korallen ernähren, verdauen diese giftigen Algen, und so gelangt das Toxin in die Nahrungskette. Diese grasenden Fische leben und ernähren sich gewöhnlich in einem kleinen Gebiet, so dass nach und nach größere Mengen von Gift aufgebaut werden. Ein räuberischer Snapper, Zackenbarsch oder Barrakuda schwimmt dann in diese Gewässer und bekommt mit einem Biss das ganze Gift, das sein pflanzenfressendes Opfer ein Leben lang angesammelt hat, in den Körper. Diese größeren Fische bringen dann das Gift zu anderen Teilen des Riffs oder der Lagune.

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Schäden am Korallenriff gelten als Ursache für Ciguatera

Ende der siebziger Jahre entdeckte Dr. Raymond Bagnis, der Leiter der Medizinischen Ozeanographischen Forschungsabteilung in Tahiti, endlich den Grund für Ciguatera.

Er fand heraus, dass bei jedem Ausbruch von Ciguatera ein oder zwei Jahre zuvor Schaden am Korallenriff entstanden war. Manchmal hatte das eine natürliche Ursache wie einen schlimmen Sturm oder Zyklon, doch häufiger wurde es durch die Menschen verursacht, indem sie einen Pass in eine Lagune sprengten, Kais oder Wellenbrecher auf lebenden Korallen bauten oder Metall sowie andere umweltverschmutzende Materialien in Lagunen abluden. Die toxischen Algen blühen auf bloß gelegten Korallenoberflächen und vermehren sich rasch. So beginnt der Kreislauf, der zur Ciguatera-Vergiftung führt.

Ein Rifffisch knabbert an den Korallen. So kann das Gift in die Nahrungskette gelangen. ©️Sönke Roever

Die Symptome bei Ciguatera sind unterschiedlich

Nicht jeder, der den giftigen Fisch isst, hat die gleichen Symptome. Doch nach ein paar Stunden treten meistens Durchfall, Übelkeit, Magenschmerzen oder Erbrechen auf. Prickeln in den Fingern und Zehen sowie ein Brennen um den Mund sind andere Symptome, gefolgt von einer Veränderung der Sinnesorgane, so dass kalte Speisen oder Getränke heiß erscheinen, normales Wasser wie Sprudelwasser schmeckt und eine Dusche sich wie Nadelstiche von Elektroschocks anfühlt.

Dazu kommen extreme Müdigkeit und Lethargie, Jucken, Muskel- und Gelenkschmerzen, schwacher Puls und fallender Blutdruck. In sehr schweren Fällen kann Atemstillstand zum Tod führen, doch das ist sehr selten, und die Sterblichkeitsrate liegt unter einem Prozent der Fälle.

Räuber am Riff. Ein Jack-Fisch. Er kann ggf. mit dem Nervengift belastet sein. ©️Sönke Roever

In den meisten Fällen verschwinden die Beeinträchtigungen, doch das Jucken und die Störungen des Warm-Kalt-Empfindens können mehrere Wochen dauern. Die Symptome werden verursacht durch das Gift, das sich auf die Natriumkanäle des Körpers auswirkt und Veränderungen im elektrischen Potential und der Durchlässigkeit der Zellen verursacht. Seit einiger Zeit wird Ciguatera erfolgreich mit Mannitol IV behandelt. Die übliche Dosis ist ein Gramm Mannitol pro Kilogramm Körpergewicht. Das Medikament wird intravenös durch eine zwanzigprozentige Mannitollösung verabreicht.

Man glaubt, dass das Mannitol auf Zellebene wirkt und das Toxin inaktiv macht. Je früher die Diagnose gestellt und der Erkrankte mit Mannitol IV behandelt wird, desto größer der Erfolg. Viele Patienten, die auf den Marshall-Inseln behandelt wurden, haben positiv auf das Medikament reagiert. Antihistamine, Kalziumgluconat, Atropin und Vitamin B wurden ebenfalls eingesetzt, um die Symptome zu lindern. Unbehandelt kann Ciguatera ein bis zwei Monate dauern, doch einige Beschwerden können auch länger anhalten. Die Genesung beginnt normalerweise nach einigen Tagen, doch die Krankheit schafft keine Immunität. Daher ist die nächste Fischvergiftung meist schlimmer als die vorangegangene.

Einheimische Fischer wissen in der Regel, ob ihr Hausriff beastet ist. ©️Sönke Roever

Diese Tipps helfen beim Umgang mit Ciguatera

Menschen, die wiederholt kleinen Mengen von Ciguatoxin ausgesetzt sind, die aber aufgrund der jeweils geringen Dosierung nicht zum Ausbruch von Ciguatera führen, werden allmählich für das Gift sensibilisiert. Dann kann der Konsum eines giftigen Fisches einen Anfall hervorrufen, während andere, die nicht sensibilisiert sind und den gleichen Fisch gegessen haben, nicht krank werden.

Das Risiko kann minimiert werden, indem man den Fisch gleich nach dem Fang ausnimmt und Kopf, Leber, Rogen und Eingeweide wegwirft, da das Gift in diesen Organen konzentriert ist. Alle sehr großen Fische, die in einer Lagune und nahe bei einem Riff gefangen werden, sollten mit Vorsicht behandelt werden, insbesondere Snapper, Zackenbarsche, Barrakudas, Jack-Fische und Muränen.

Es zahlt sich aus, die Einheimischen um Rat zu fragen, da die meisten Inselbewohner nur zu gut wissen, welcher Fisch und welches Gebiet in der Lagune gemieden werden sollten. Einfrieren, Trocknen, Kochen oder Marinieren zerstören das Gift nicht, und ein befallener Fisch riecht, schmeckt und sieht normal aus.

Ein Segler entfernt bei einem Barrakuda nach dem Fang den Kopf. ©️Sönke Roever

Am Ende bleibt uns Seglern nur vorsichtig zu sein. Wie das konkret aussieht, muss jeder selbst entscheiden.

Eine Botschaft ist in jedem Fall glasklar: Jeder Ausbruch von Ciguatera zeigt an, dass etwas mit dem zugehörigen Korallenriff nicht stimmt. Oder anders formuliert: Der Eingriff in das empfindliche Ökosystem lebender Korallen fordert einen hohen Preis.

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A. Krützkamp
A. Krützkamp
1 Jahr her

Danke für die eingehenden Erklärungen! Ein wertvoller Artikel!